Nach Art. 59 Abs. 1 BGG sind Parteiverhandlungen und mündliche Beratungen vor Bundesgericht öffentlich. Gleichzeitig werden laut Geschäftsbericht gerade einmal 0,6 % aller Fälle öffentlich beraten. Die Publizität wird in diesen Fällen anders hergestellt, nämlich durch Auflage des Entscheiddispositivs (Art. 59 Abs. 3 BGG). Nach dem Reglement des Bundesgerichts geschieht das grundsätzlich in nicht anonymisierter Form (Art. 60 Abs. 3 BGerR).
Aus dieser Praxis leitete ein Gesuchsteller die Öffentlichkeit sämtlicher Bundesgerichtsentscheide ab und ersuchte um Einsicht – zunächst in «möglichst alle Urteile des Bundesgerichts aus dem Zeitraum ungefähr Januar 2020 bis März 2020 im Original», dann in jene des 3. Quartals 2020. Sein Interesse galt, wie er betonte, dem Urteilsdispositiv und den Angaben zu den Beschwerdeführern.
Inhaltlich stützte sich der Gesuchsteller insbesondere auf die Verordnung des Bundesgerichts zum Archivierungsgesetz. Dieser zufolge unterliegen Prozessakten grundsätzlich einer Schutzfrist von 50 Jahren. Vor Ablauf dieser Frist können sie nur eingesehen werden, wenn die Betroffenen eingewilligt haben, sie seit mindestens drei Jahren tot sind oder «die Unterlagen der Öffentlichkeit bereits zugänglich waren, vorbehältlich neuer Gründe gegen die Einsichtnahme» (Art. 8 Abs. 1 der Verordnung).
Die Rekurskommission des Bundesgerichts entschied über das Gesuch am 24. Februar 2021 (Urteil 13Y_1/2021). Dabei befasste sie sich einlässlich mit den Voraussetzungen der Einsichtnahme in Prozessakten (E. 2) und deren behaupteter Öffentlichkeit (E. 3): Zwar verlangt das Archivierungsgesetz durchaus, dass Unterlagen, die bereits vor Ablieferung an das Archiv öffentlich zugänglich waren, dies auch weiterhin bleiben (Art. 9 Abs. 2 BGA). Auch zielt die «Öffentlichkeitspolitik des Bundesgerichts» darauf, die eigene Rechtsprechung transparent zu halten und einer «Kabinettsjustiz» entgegenzuwirken (E. 3.2.4). Dennoch ist die zeitlich und räumlich eingeschränkte Urteilsauflage nicht mit einer Publikation etwa im Bundesblatt zu vergleichen: Der 30-tägige Aufenthalt im Warteraum des Bundesgerichts in Lausanne macht die Urteilsdispositive noch lange nicht «öffentlich».
Vor diesem Hintergrund ersparte sich die Kommission die Frage nach dem schutzwürdigen Interesse (E. 4) – und dem Gesuchsteller die Verfahrenskosten (E. 5).