Das Bundesgericht hatte im Urteil 6B_181/2018 vom 20. Dezember 2018 zu entscheiden, ob polizeilich angeordnete Videoaufnahmen in den Geschäftsräumlichkeiten eines Unternehmens als Beweise verwertbar sind. Wegen Verdachts auf Diebstahl im eigenen Betrieb hatte der Geschäftsführer des betroffenen Betriebs Strafanzeige gegen unbekannt erstattet. Die Kantonspolizei Solothurn installierte im betroffenen Betrieb daraufhin Kameras, mit welchen während rund fünf Wochen ein Büro mit Küche, wo sich ein Tresor befand, überwacht wurde. Kundenbereiche wurden nicht überwacht. Die Aufnahmen wurden mit der Einwilligung der Geschäftsführer, aber ohne Wissen der aufgenommenen Mitarbeiter, vorgenommen. Das Obergericht des Kantons Solothurn hatte eine Angestellte unter Verwertung einzelner Aufnahmesequenzen wegen mehrfachem geringfügigem Diebstahl zu einer Busse verurteilt (Urteil STBER.2016.73 vom 4. Januar 2018).
Das Bundesgericht setzte sich zunächst mit der Frage auseinander, ob die polizeiliche Videoüberwachung überhaupt eine Zwangsmassnahme i.S.v. Art. 196 StPO darstellt. Eine Zwangsmassnahme liegt vor, sobald eine Verfahrenshandlung von Strafbehörden in Grundrechte eingreift, um Beweise zu sichern (Art. 196 lit. a StPO). Das Bundesgericht kommt, entgegen der Auffassung der Vorinstanz, zum Schluss, dass sämtliche staatlichen, datenbezogenen Tätigkeiten, und daher insbesondere auch die polizeilichen Videoaufnahmen, in das Grundrecht der verurteilten Angestellten auf Privatsphäre und informationelle Selbstbestimmung gemäss Art. 13 BV eingreifen. Die Videoaufnahmen der Polizei seien daher als Zwangsmassnahmen zu qualifizieren (E. 4.2).
Von staatlich angeordneten Videoaufnahmen seien private Beweiserhebungen zu unterscheiden, bei denen sich anstatt grundrechtlicher, vielmehr straf‑, arbeits‑, datenschutz- und persönlichkeitsrechtliche Fragen stellen (E. 4.3; vgl. dazu die Bemerkungen unten).
Weiter stellte das Bundesgericht – wiederum im Gegensatz zur Vorinstanz – klar, dass im vorliegenden Fall keine gültige Einwilligung in den Grundrechtseingriff erfolgte. Die Geschäftsführer des Unternehmens waren
[…] nicht befugt, an Stelle der von der Überwachung betroffenen Beschwerdeführerin [sc. Angestellten] in die Überwachung einzuwilligen und so über deren Grundrecht auf Privatsphäre bzw. informationelle Selbstbestimmung zu verfügen. (E. 4.4)
In der Folge hielt das Bundesgericht fest, dass die Zwangsmassnahme in der Form des Einsatzes technischer Überwachungsgeräte i.S.v. Art. 280 lit. b StPO erfolgte, welcher von der Staatsanwaltschaft angeordnet (Art. 280 StPO) und vom Zwangsmassnahmengericht genehmigt werden müsste (Art. 281 Abs. 4 i.V.m. Art. 272 Abs. 1 StPO). Da die Videoüberwachung lediglich von der Polizei angeordnet und nicht genehmigt wurde, seien die Erkenntnisse daraus gemäss Art. 277 Abs. 2 StPO absolut unverwertbar (E. 4.5).
Das vom Bundesgericht angeordnete Beweisverwertungsverbot führte jedoch nicht automatisch zu einem Freispruch. Das Obergericht des Kantons Solothurn wird nun beurteilen müssen, ob die anderen Beweismittel, beispielsweise die Arbeitszeiterfassung oder durchgeführte Einvernahmen, ohne die Verwertung der Videosequenzen, ausreichen, um die Angestellte zu verurteilen (E. 4.6).
Bemerkungen: Abgrenzung zur privaten Videoüberwachung wegen Diebstahlverdacht
Interessant ist insbesondere der Hinweis des Bundesgerichts auf die Unterscheidung zur privaten Beweiserhebung (E. 4.3, mit Verweis auf BGer 6B_536/2009 vom 12. November 2009 und BGer 9C_785/2010 vom 10. Juni 2011). Bei diesen beiden Entscheiden ging es um die Frage der Verwertbarkeit von privat durch den Arbeitgeber selber ohne Wissen der Mitarbeiter erstellten Videoaufnahmen im Kassenraum des jeweiligen Unternehmens wegen Diebstahlverdachts.
Im Gegensatz zur Beurteilung einer staatlichen bzw. polizeilichen Überwachung war die Frage, ob die durchgeführte Videoüberwachung in die Grundrechte der Überwachten eingriff, nicht Gegenstand dieser Entscheide. Bei der privatrechtlichen Videoüberwachung geht es vielmehr um die Prüfung strafrechtlicher (Art. 179quater StGB), arbeitsrechtlicher (Art. 26 der Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz [ArGV 3]) und datenschutzrechtlicher Bestimmungen (insbes. Art. 12 DSG sowie die allgemeinen Datenbearbeitungsgrundsätze in Art. 4 DSG). Für solche privaten Videoaufnahmen wegen Verdachts auf Diebstahl gilt zusammenfassend Folgendes (vgl. BGer 9C_785/2010 E. 6.3):
- Das Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs vom 6. Oktober 2000 (BÜPF; SR 780.1) findet auf privat erhobene Beweismittel keine Anwendung.
- Die im Kassenraum aufgenommenen Videoaufnahmen erfüllten in casu auch nicht den Tatbestand von Art. 179quater StGB.
- Art. 26 Abs. 1 ArGV 3 ist einschränkend auszulegen, so dass nur Überwachungssysteme verboten sind, welche geeignet sind, die Gesundheit oder das Wohlbefinden der Arbeitnehmer zu beeinträchtigen (BGer 6B_536/2009 E. 3.6.1). Eine Überwachung beeinträchtigt die Gesundheit der Arbeitnehmer nicht eo ipso (BGer 6B_536/2009 E. 3.6.2).
- Durch Videoüberwachung des Kassenraumes wurde (jedenfalls in den zu beurteilenden Fällen) nicht das Verhalten der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz über längere Zeit überwacht – was unzulässig wäre – , sondern im Wesentlichen die Kasse erfasst, an welcher sich die Arbeitnehmer sporadisch und kurzzeitig aufhielten. Eine solche Überwachung ist nach Ansicht des Bundesgerichts nicht geeignet, Gesundheit und Wohlbefinden der Arbeitnehmer zu beeinträchtigen (BGer 6B_536/2009 E. 3.6.3). Dies trifft zu, solange jedenfalls keine umfassende und permanente Überwachung stattfindet und die Bänder erst nachträglich ausgewertet werden (BGer 9C_785/2010 E. 6.7.2, mit Verweis auf BGE 130 II 425 E. 6.5).
- Eine solche Videoüberwachung des Kassenraums bezweckte nach Ansicht des Bundesgerichts auch die Verhinderung von Straftaten durch Dritte, weshalb der Geschäftsinhaber ein erhebliches Interesse an einer Überwachung hatte. Unter den gegebenen Umständen waren die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer durch die Videokamera gemäss Bundesgericht nicht widerrechtlich verletzt (BGer 6B_536/2009 E. 3.7).
- Die privaten Videoaufnahmen verstiessen in casu nicht gegen Art. 26 ArGV 3 und konnten als Beweismittel verwertet werden (BGer 6B_536/2009 E. 3.8).