Das Bundesgericht hat mit Urteil vom 7. Oktober 2019 entschieden, dass das Thurgauer Polizeigesetz keine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage für eine automatische Fahrzeugfahndung und Verkehrsüberwachung (“AFV”) bildet.
Bei der mobilen oder stationären AFV wird zunächst mittels Kamera das Nummernschild des Fahrzeugs erfasst und die Identität des Halters in Erfahrung gebracht. Sodann werden auch Zeitpunkt, Standort, Fahrtrichtung sowie die (weiteren) Fahrzeuginsassen erfasst. Danach werden die Daten mit anderen Datensammlungen zusammengeführt und automatisch abgeglichen.
Die AFV ermögliche damit eine serielle und simultane Verarbeitung komplexer Datensätze innert Sekundenbruchteilen und zwar weder anlassbezogen noch aufgrund eines konkreten Verdachts. Die Möglichkeit der späteren (geheimen) Verwendung und das damit einhergehende Gefühl der Überwachung könne die Selbstbestimmung wesentlich hemmen (“chilling effect”, “effet dissuasif”). Es läge daher ein schwerer Eingriff in das von der Bundesverfassung gewährleisteten Rechts auf persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV) und auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 13 Abs. 2 BV) vor.
Schwere Grundrechtseingriffe bedürften einer klaren und ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage in einem formellen Gesetz. Das Thurgauer Polizeigesetz biete keine solche Grundlage. Zunächst sei der Verwendungszweck der Datenbearbeitung unklar. Zudem sei für die Strassenverkehrsteilnehmer nicht vorhersehbar, welche Informationen gesammelt, aufbewahrt und mit anderen Datenbanken verknüpft bzw. abgeglichen würden. Das Thurgauer Polizeigesetz weise auch in Bezug auf die Aufbewahrung und Vernichtung der Daten eine mangelnde Normdichte auf. Es liese sich dem Gesetz insbesondere keine Pflicht zur unverzüglichen und spurlosen Löschung im Nichttrefferfall (“no-hit”) entnehmen. Bei den Aufzeichnungen handele es sich daher um rechtswidrig erhobene Beweismittel im Sinne von Art. 141 Abs. 2 StPO. Diese seien grundsätzlich unverwertbar, es sei denn, ihre Verwertung sei zur Aufklärung schwerer Straftaten unerlässlich, was vorliegend nicht der Fall war.
In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht das Kennzeichenscanning der Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg und Hessen im Dezember letzten Jahres ebenfalls zumindest teilweise für verfassungswidrig erklärt, insbesondere da die entsprechenden Gesetze der Länder nicht dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit genügten. Die Kontrollen waren nicht auf den Schutz von Rechtsgütern von zumindest erheblichem Gewicht beschränkt und wiesen als Mittel der Schleierfahndung keinen hinreichend bestimmten Grenzbezug auf (Beschlüsse des BVerfG vom 18.12.2018, 1 BvR 142/15, 1 BVR 2795/09, 1 BvR 3187/10). Den Beschlüssen sind wertvolle Hinweise für eine allenfalls verfassungskonforme Gesetzgebung der Länder zu entnehmen.