Das deutsche Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat sich vor kurzem (Beschluss vom 14. Januar 2021, AZ 1 BvR 2853/19) im Zusammenhang mit der Erheblichkeitsschwelle bei Schadensersatzansprüchen nach der DSGVO geäussert. Anlass war ein Urteil des Amtsgerichts Goslar, das – aus verfahrensrechtlichen Gründen letztinstanzlich – entschieden hatte, dem Kläger stehe kein Schadenersatzanspruch zu. Der Kläger, ein Rechtsanwalt, hatte eine Entschädigung nach Art. 82 DSGVO von wenigstens EUR 500 für eine unverlangte Werbe-E-Mail verlangt.
Dieses Urteil verletzt, so das BVerfG, das Recht des Klägers aus Art. 101 Abs. 1 des deutschen Grundgesetzes (“Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden”): Das Amtsgericht hätte die Frage der Bagatellschwelle nicht letztinstanzlich beurteilen dürfen, sondern diese Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegen müssen. Eine Vorlagepflicht besteht, wenn sich dem nationalen Gericht eine Frage des Unionsrechts stellt, die nicht bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war (“acte éclairé”) und die richtige Anwendung des Unionsrechts gleichzeitig nicht derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (“acte clair”). Beides war hier nicht der Fall:
Nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO hat jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen die DSGVO ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadensersatz gegen den Verantwortlichen […] Dieser Geldentschädigungsanspruch ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union weder erschöpfend geklärt noch kann er in seinen einzelnen, für die Beurteilung des im Ausgangsverfahrens vorgetragenen Sachverhalts notwendigen Voraussetzungen unmittelbar aus der DSGVO bestimmt werden. Auch in der bislang vorliegenden Literatur, die sich im Hinblick auf Erwägungsgrund 146 wohl für ein weites Verständnis des Schadensbegriffes ausspricht, sind die Details und der genaue Umfang des Anspruchs noch unklar […]. Von einer richtigen Anwendung des Unionsrechts, die derart offenkundig ist, dass für vernünftige Zweifel kein Raum bliebe (acte clair), konnte das Amtsgericht ebenfalls nicht ausgehen. Dies gilt umso mehr, als Art. 82 DSGVO ausdrücklich immaterielle Schäden einbezieht.