BVGer (A‑3297/2021): Zum Anwen­dungs­aus­schluss des BGÖ bei gesie­gel­ten Strafakten

Das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt hat sich im Ent­scheid A‑3297/2021 vom 20. Janu­ar 2023 mit einem Zugangs­ge­such zu Akten im Zusam­men­hang mit der Beschaf­fung von Mas­ken beschäf­tigt. Die Beson­der­heit bestand dar­in, dass par­al­lel ein Straf­ver­fah­ren wegen Wuchers hän­gig ist – man kann sich unschwer vor­stel­len, wel­che Kon­stel­la­ti­on der anony­mi­sier­te Ent­scheid betrifft.

Die Fra­ge­stel­lung betraf vor allem das Ver­hält­nis straf­pro­zes­sua­ler Regeln einer­seits und des Öffent­lich­keits­rechts ande­rer­seits. Das Bun­des­ge­richt hat in einem ähn­li­chen Zusam­men­hang einen Leit­ent­scheid gefällt, BGE 147 I 47, auf den sich das BVGer stützt.

Aus­gangs­punkt war Art. 3 Abs. 1 lit. a Ziff. 2 BGÖ, der Anwen­dungs­aus­schluss des BGÖ bei “amt­li­chen Doku­men­ten betref­fend Straf­ver­fah­ren”. Die Vor­in­stanz, der Armee­stab, hat­te das Zugangs­ge­such in Über­ein­stim­mung mit einer Emp­feh­lung des EDÖB teil­wei­se gutgeheissen.

Das BVGer weist die Beschwer­de der Mar­ken­lie­fe­ran­tin gegen die­sen Ent­scheid ab. Es argu­men­tiert im Wesent­li­chen wie folgt:

  • Die Hän­gig­keit eines Straf­ver­fah­rens beginnt ab Auf­nah­me der Ermitt­lungs­tä­tig­keit der Poli­zei (Vor­ver­fah­ren) und endet mit rechts­kräf­ti­gem Abschluss des Verfahrens.
  • Art. 3 Abs. 1 Bst. a Ziff. 2 BGÖ bezieht sich nicht auf sämt­li­che amt­li­chen Doku­men­te und Akten, die sich in einer Straf­ak­te befän­den. Viel­mehr ist zu differenzieren:

    Ist ein Doku­ment aus­drück­lich im Rah­men eines Straf­ver­fah­rens ange­ord­net oder expli­zit im Hin­blick auf ein sol­ches Ver­fah­ren erstellt wor­den, han­delt es sich um eine Straf­ak­te im enge­ren Sin­ne. Sol­che wer­den defi­ni­tiv nicht vom sach­li­chen Anwen­dungs­be­reich des BGÖ umfasst. Ander­wei­ti­ge Doku­men­te in einer Straf­ak­te, wie blo­sse Beweis­mit­tel, stel­len dem­ge­gen­über Straf­ak­ten im wei­te­ren Sin­ne dar und unter­ste­hen grund­sätz­lich dem BGÖ.

  • Zudem sind Beweis­mit­tel im Straf­ver­fah­ren dann vom BGÖ aus­ge­schlos­sen, wenn sie “in einem direk­ten Zusam­men­hang zum ange­foch­te­nen Ent­scheid ste­hen” und “eng mit des­sen Streit­ge­gen­stand ver­bun­den sind”. Dies lie­sse sind indes nicht für alle gesie­gel­ten Doku­men­te sagen. Zwar bil­den alle gesie­gel­ten Doku­men­te den Streit­ge­gen­stand des Ent­sie­ge­lungs­ver­fah­rens, aber in der Pra­xis wer­den auch Urkun­den beschlag­nahmt, für die von vorn­her­ein kei­ne Sie­ge­lungs­grün­de bestehen. Wür­den auch sol­che Doku­men­te vom BGÖ aus­ge­schlos­sen, könn­te das BGÖ durch eine Sie­ge­lung unter­lau­fen werden:

    Sofern daher einem amt­li­chen Doku­ment ein­deu­tig und ohne jeg­li­chen Zwei­fel kein Sie­ge­lungs­grund ent­ge­gen­ge­hal­ten wer­den kann, der es recht­fer­ti­gen wür­de, den Ent­scheid des Zwangs­mass­nah­men­ge­richts abzu­war­ten, kann des­sen Her­aus­ga­be nicht mit Ver­weis auf Art. 3 Abs. 1 Bst. a Ziff. 2 BGÖ ver­hin­dert werden.

  • Das Beschaf­fungs­dos­sier ist nicht als sol­ches vom BGÖ aus­ge­nom­men:

    Zer­ti­fi­ka­te und Prüf­be­rich­te der Mas­ken, die zu wei­ten Tei­len in asia­ti­scher Schrift ver­fasst sind, tra­gen in kei­ner Wei­se zur Erstel­lung des objek­ti­ven und sub­jek­ti­ven Tat­be­stands des Wuchers bei. Ein enger Zusam­men­hang zum Streit­ge­gen­stand besteht von vorn­her­ein nicht.

  • Aus­ge­nom­men ist immer­hin der E‑Mail-Ver­kehr zwi­schen der Mas­ken­lie­fe­ran­tin und dem Armee­stab, weil sie direkt als Beweis­mit­tel für (oder gegen) den Wucher­vor­wurf rele­vant sind:

    Der E‑Mailverkehr zwi­schen der Vor­in­stanz und der Beschwer­de­füh­re­rin betrifft im Wesent­li­chen Rech­nun­gen, Los­re­ser­va­tio­nen, Infor­ma­tio­nen über Bestel­lun­gen ande­rer Abneh­mer von Mas­ken, offi­zi­el­le Bestel­lun­gen, Ange­bo­te, Preis­re­duk­tio­nen, Dring­lich­keits­be­schei­ni­gun­gen, Pack­li­sten, Daten­blät­ter, Zer­ti­fi­ka­te, Lie­fe­run­gen und Zah­lungs­mo­da­li­tä­ten. Zusam­men mit den sich eben­falls im Beschaf­fungs­dos­sier befin­den­den aus­ge­druck­ten Ange­bo­te, Bestel­lun­gen und Rech­nun­gen ver­mö­gen sie den Bestand diver­ser Kauf­ver­trä­ge sowie deren wesent­lich­sten Punk­te (Anzahl Mas­ken eines bestimm­ten Typs [Lei­stung] und Preis [Gegen­lei­stung]) bewei­sen. Mit­hin erbrin­gen die­se Doku­men­te den Beweis, dass bezüg­lich den Mas­ken zwei­sei­ti­ge Geschäf­te abge­schlos­sen wur­den. Ein zwei­sei­ti­ges Geschäft muss für die Erfül­lung des objek­ti­ven Tat­be­stands des Wuchers gege­ben sein […]. Inso­fern ste­hen die­se amt­li­chen Doku­men­te im direk­ten Zusam­men­hang mit dem «Streit­ge­gen­stand» des lau­fen­den Strafverfahrens.

  • Das Zugangs­recht war fer­ner nicht nach Art. 4 lit. a BGÖ durch Geheim­nis­se ausgeschlossen.

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