Das Bundesverwaltungsgericht hat am 23. August 2016 entschieden, dass die WEKO Daten eines abgeschlossenen Kartellverfahrens auf dem Weg der Amtshilfe an ein Gemeinwesen bekanntgeben darf (Entscheid als PDF).
Diese Frage stellte sich im Zusammenhang mit einer Sanktionsverfügung betreffend Wettbewerbsabreden im Strassen- und Tiefbau im Kanton Zürich. Diese Abreden zwischen 16 Unternehmen aus der Baubranche betrafen Submissionen im Kanton Zürich, bei welchen sich die Bauunternehmen über ihre Offertpreise absprachen und festlegten, wer den Zuschlag erhalten soll. In der Sanktionsverfügung wurden die Bezeichnungen der betroffenen Projekte jedoch entfernt, so dass Dritte wie etwa potentiell geschädigte Auftraggeber nicht herausfinden konnten, ob sie durch die Absprachen geschädigt wurden. Die Gemeinde Meilen verlangte deshalb Einsicht in die massgebenden Akten und insbesondere Auskunft darüber, ob sie Bauprojekte vergeben habe, die von unzulässigen Wettbewerbsabreden betroffen waren. Die WEKO gewährte der Gemeinde Meilen Einsicht in die Sanktionsverfügung und in ein Beweismittel, soweit diese Ausschreibungen der Gemeinde Meilen betrafen (und soweit dadurch nicht von der Selbstanzeigerin preisgegebene Informationen offenbart wurden. Dagegen gelangte eines der betroffenen Unternehmen an das BVGer.
Das BGVer verwirft zunächst einen Zugangsanspruch gestützt auf das BGÖ:
- Zwar fällt das Kartellverfahren als Verwaltungsverfahren nicht unter den Ausschlussgrund von BGÖ 3 I lit. a Ziff. 2 (keine Anwendung auf Strafverfahren), obwohl Sanktionen nach KG 49a einen strafrechtlichen bzw. strafrechtsähnlichen Charakter haben.
- DSG 19 I lit. a sieht indes ein spezielles Auskunftsrecht vor bei Anfragen von Trägern gesetzlicher Aufgaben, sofern diese Anfrage Personendaten betrifft. Diese spezielle Zugangsvorschrift geht dem BGÖ vor (BGÖ 4 lit. b; im Ergebnis gleich BGÖ 9 II).
Anwendung der Ausnahmebestimmung von DSG 19 I lit. a
DSG 19 I lit. a lautet wie folgt:
Bundesorgane dürfen Personendaten nur bekannt geben, wenn dafür eine Rechtsgrundlage im Sinne von Artikel 17 besteht oder wenn:
a. die Daten für den Empfänger im Einzelfall zur Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgabe unentbehrlich sind; […]
Mit dieser “allgemeinen Amts- und Rechtshilfebestimmung sowie Ausführungsbestimmung zum allgemeinen Amtsgeheimnis” (Botschaft DSG 1988, 469; zit. durch das BVGer) wird der verfassungsmässige Grundsatz der gegenseitigen (hier: informellen) Amtshilfe (BV 44) konkretisiert. Sie ist indessen als Ausnahme vom Erfordernis der gesetzlichen Grundlage iSv DSG 17 I nur im Einzelfall anzuwenden und jeweils eng auszulegen. Eine Bekanntgabe nach DSG 19 I lit. a ist nur wie folgt zulässig:
- Bekanntgabe auf Ersuchen im Einzelfall, d.h. für einen einmaligen Zweck zur Erledigung einer gesetzlichen Aufgabe, nicht regelmässig oder gar dauerhaft;
- Bekanntgabe nur auf konkrete Anfrage mit Darstellung des relevanten Sachverhalts, mit konkreter Bezeichnung der gewünschten Auskünfte und Unterlagen und Angabe des Grunds des Gesuchs; keine Anfrage ohne präzisen Anlass oder konkrete Fragestellung, d.h. keine “fishing expeditions”
Schadensdeckung als gesetzliche Aufgabe
Strittig war vorliegend, ob die Anfrage der Gemeinde Meilen eine gesetzliche Aufgabe betraf oder “ein allgemeines staatspolitisches Ziel”, und ob die Beschaffung von Beweismitteln für die Verfolgung von Zivilansprüchen nicht ohnehin dem Privatrecht untersteht. Das BVGer hält in diesem Zusammenhang fest, dass die Pflicht zum sorgsamen Umgang mit Steuergeldern u.a. verlangt, zivilrechtliche Ansprüche gegenüber den Teilnehmern eines Submissionskartells durchzusetzen. Dabei handle es sich sogar um eine gesetzliche Aufgabe von “entscheidender Bedeutung”. Die Rechtsnatur allfälliger verfahrensrechtlicher Mittel wie etwa einer Schadenersatzklage spiele dabei keine Rolle.
Erforderlichkeit der Datenbekanntgabe (Subsidiarität)
Eine Bekanntgabe nach DSG 19 I lit. a ist nur zulässig, soweit die Daten für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgabe erforderlich sind. Daraus ergeben sich zwei Voraussetzungen:
- Die Daten selbst müssen für die Erfüllung der Aufgabe notwendig sein.
- Die Daten können nicht anders beschafft werden; d.h. das Auskunftsersuchen darf nicht nur den einfacheren Weg darstellen, sondern den einzigen Weg.
Das BVGer betrachtet beide Voraussetzungen als erfüllt (und macht deutlich, dass die Unzumutbarkeit eines anderen Wegs der Unmöglichkeit gleichzusetzen ist):
Beitritt zum Untersuchungsverfahren?
Ein Beitritt der Gemeinde zum Untersuchungsverfahren nach KG 43 I lit. a wäre “wohl ausgeschlossen” gewesen (und wäre ein solcher Beitritt möglich gewesen, hätte sich die weitere Frage gestellt, ob der Gemeinde Parteistellung zukommt).
Strafanzeige wegen Submissionsbetrugs?
Die Gemeinde hätte Strafanzeige wegen Submissionsbetrug (StGB 144) gegen Unbekannt einreichen können. Die Akten des Kartellverfahrens wären in diesem Fall rechtshilfeweise beizuziehen gewesen (StPO 44). Hätte sich die Gemeinde dann als Privatklägerin konstituiert, hätte sie Akteneinsicht verlangen können.
Aus Sicht des BVGer wäre es aber falsch, von der Gemeinde Meilen ein solches Vorgehen zu verlangen, weil die Erfolgsaussichten eines Strafverfahrens “äusserst gering” seien und die Gemeinde gar keine strafrechtliche Sanktionierung der betreffenden Unternehmen anstrebte. Vor diesem Hintergrund wäre der Weg über ein Strafverfahren eine “massive Verschwendung von staatlichen Ressourcen” und ein “zweckentfremdeter Gebrauch des Strafanzeigerechts”.
Akteneinsicht direkt gestützt auf verfassungsrechtliche Verfahrensgarantien?
Das BVGer fragt sich zuletzt, ob allenfalls direkt aus verfassungsrechtlichen Verfahrensgarantien ein Akteneinsichtsrecht abzuleiten wäre. Allerdings habe die Rechtsprechung ein solches Akteneinsichtsrecht zwecks Einleitung eines nachfolgenden Verfahrens ausschliesslich für natürliche oder juristische Personen des Privatrechts bejaht, die auf die Akteneinsicht offensichtlich angewiesen waren (vgl. etwa 1A.253/2005 E. 3.6.4). Dies sei vorliegend jedoch nicht der Fall, weil DSG 19 I lit. a das verfassungsrechtlich garantierte Akteneinsichtsrecht für ein Gemeinwesen konkretisiere und damit vorgehe.
Damit war das Akteneinsichtsrecht nach DSG 19 I lit. a im Grundsatz zu bejahen.
Schranken des Einsichtsrechts?
KG 25
Nach DSG 19 IV lit. b ist die Datenbekanntgabe abzulehnen, einzuschränken oder mit Auflagen zu verbinden, wenn gesetzliche Geheimhaltungspflichten oder besondere Datenschutzvorschriften es verlangen. Insbesondere entbindet DSG 19 I lit. a weder vom Amtsgeheimnis noch von anderen speziellen Geheimhaltungspflichten. Hier war daher zunächst KG 25 (Amts- und Geschäftsgeheimnis) zu prüfen. Nach einer ausführlichen Untersuchung kommt das BVger zu folgenden Ergebnissen:
11.4 Zusammengefasst schliesst Art. 25 Abs. 2 KG nicht jede Verwertung der in kartellrechtlichen Untersuchungsverfahren gewonnenen Daten, worunter insbesondere auch deren Weitergabe an aussenstehende Personen fällt, aus. Eine solche ist zulässig, wenn die Daten an ein (potentielles) Kartellopfer geliefert werden, von der Bekanntgabe keine Geschäfts- und Fabrikationsgeheimnisse betroffen sind und die Daten ausschliesslich zu kartellrechtlich Zwecken verwendet werden. Diesem Auslegungsergebnis steht Art. 25 Abs. 3 KG nicht entgegen, da diese Bestimmung kein exklusives Verwertungsrecht zu Gunsten des Preisüberwachers statuiert.
Nach dem Gesagten ist eine Weitergabe der Daten im konkreten Fall trotz des grundsätzlichen Verwertungsverbotes von Art. 25 Abs. 2 KG zulässig, sofern diese ausschliesslich zweckentsprechend verwertet werden, was mit der Anordnung einer Auflage sicherzustellen ist (vgl. E. 13.2.2 und 15). Folglich stellt Art. 25 Abs. 2 KG keine gesetzliche Bestimmung im Sinne von Art. 19 Abs. 4 Bst. b DSG dar, welche der Vorinstanz eine Datenbekanntgabe untersagte. Im Übrigen sind auch keine anderweitigen Bestimmungen ersichtlich, welche der Vorinstanz spezielle Geheimhaltungspflichten auferlegten. Da vorliegend die Voraussetzungen für eine Datenbekanntgabe gemäss Art. 19 Abs. 1 Bst. a DSG grundsätzlich erfüllt sind (vgl. E. 10), kommt es insbesondere auch nicht zu einer Verletzung des Amtsgeheimnisses.
Interessenabwägung
Nach DSG 19 IV lit. a ist die Bekanntgabe abzulehnen, einzuschränken oder mit Auflagen zu verbinden, wenn wesentliche öffentliche Interessen oder offensichtlich schutzwürdige Interessen einer betroffenen Person es verlangen. Das BVGer kommt dabei zu folgendem Ergebnis:
12.5 Zusammengefasst bestehen im vorliegenden Fall nur bezüglich allfällig vorhandener Daten von Drittunternehmen schutzwürdige Interessen, welche eine Einschränkung der Datenbekanntgabe gemäss Art. 19 Abs. 4 Bst. a DSG verlangen. Sollten sich Daten dieser Unternehmen in den offenzulegenden Passagen der Sanktionsverfügung befinden, sind diese zu schwärzen. Schliesslich sind sämtliche Auszüge der Verfügung, welche Daten der Selbstanzeigerin zum Gegenstand haben, nicht bekannt zu geben, da deren Offenlegung nicht mehr strittig ist.
Allgemeine Bearbeitungsgrundsätze
Zuletzt prüft und bejaht das BVGer, dass auch die weiteren datenschutzrechtlichen Grundsätze gemäss DSG 4 eingehalten sind.