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BVGer, A‑7874/2015 – Greenpeace/KKW Leib­stadt: BGÖ; Begriff des amt­li­chen Doku­ments; Kosten­tra­gung; Wie­der­be­schaf­fungs­pflicht; Publi­ka­ti­on im Internet

[Ent­scheid nicht rechts­kräf­tig, ange­foch­ten beim Bundesgericht]

Green­peace hat­te beim Eid­ge­nös­si­schen Nukle­ar­si­cher­heits­in­spek­to­rat ENSI Ende 2014 ein Gesuch zum Zugang von Abluft­da­ten (sog. EMI-Daten) am Kamin des Kern­kraft­werks Leib­stadt (KKL) gestellt. Die­se Daten die­nen dazu, in Not­fäl­len die radio­ak­ti­ve Strah­lung zu beur­tei­len. Im Nor­mal­be­trieb ist die Strah­lung dage­gen so gering, dass EMI-Daten nicht die Strah­lung bele­gen, son­dern nur das Funk­tio­nie­ren des Mess-Systems. Gestützt auf eine Bestim­mung in der Strah­len­schutz­ver­ord­nung löscht das ENSI EMI-Daten lau­fend nach 30 Tagen.

Das ENSI wies das Zugangs­ge­such zuerst ab, weil man über die­se Daten nicht mehr ver­fü­ge und die Betrei­be­rin des KKL, die Kern­kraft­werk Leib­stadt AG (KKLAG), die­se trotz Anfra­ge nicht noch­mals über­mit­telt habe. Der EDÖB hat­te dem ENSI in der Fol­ge aber emp­foh­len (Emp­feh­lung vom 5. Okto­ber 2015), sich die ver­lang­ten Daten wie­der zu beschaf­fen, Green­peace Zugang zu die­sen zu gewäh­ren und die­se Daten auch auf sei­ner Web­site zu ver­öf­fent­li­chen (VBGÖ 19). Dar­auf­hin erliess das ENSI eine Ver­fü­gung, wonach die KKLAG dem ENSI die ver­lang­ten Daten her­aus­zu­ge­ben habe. Das ENSI wer­de sol­che Daten in Zukunft syste­ma­tisch spei­chern und lau­fend im Inter­net ver­öf­fent­li­chen. Gegen die­se Ver­fü­gung gelang­te die KKLAG, ver­tre­ten durch Wald­er­Wyss, an das BVGer. Das BVGer heisst die Beschwer­de gut und weist die Sache ans ENSI zurück.

Begriff des (amt­li­che) “Doku­ments”: auch Maschi­nen­da­ten sind erfasst

Vor BVGer war zunächst frag­lich, ob es sich bei EMI-Daten um “amt­li­che Doku­men­te” iSv BGÖ 5 I han­delt. Das BVGer hält zunächst fest, dass auch Daten als (amt­li­che) “Doku­men­te” in Fra­ge kom­men, die nicht von Men­schen geschaf­fen wurden:

Ent­ge­gen der Ansicht der Beschwer­de­füh­re­rin sind nicht nur von Men­schen erstell­te Doku­men­te als amt­li­che Doku­men­te zu betrach­ten; dafür gibt es kei­nen sach­li­chen Grund. Das BGÖ macht kei­ne Vor­ga­ben betref­fend Erstel­ler oder (ursprüng­li­che) Her­kunft eines amt­li­chen Doku­ments. Ent­spre­chend hält Art. 5 Abs. 1 Bst. a BGÖ fest, die Infor­ma­ti­on kön­ne auf einem belie­bi­gen Infor­ma­ti­ons­trä­ger auf­ge­zeich­net sein. Nichts ande­res ergibt sich aus der Bot­schaft (vgl. BBl 2003 1991), wel­che im Übri­gen – anders als von der Beschwer­de­füh­re­rin behaup­tet – nicht nur Bei­spie­le anführt, die sich ein­zig auf von Men­schen ver­fass­te Doku­men­te bezie­hen (kön­nen). Nament­lich Sta­ti­sti­ken, Ton- oder Bild­auf­zeich­nun­gen und Doku­men­te auf elek­tro­ni­schen Daten­trä­gern kön­nen durch­aus auch rein maschi­nell gefer­tigt wer­den. Zwar wird ihnen jeweils eine mensch­li­che Pro­gram­mie­rung zugrun­de lie­gen. Dies gilt indes auch für rein mecha­nisch erzeug­te Daten, wes­halb die­se eben­falls mit ihrer Erfas­sung als amt­li­ches Doku­ment zu betrach­ten sind, sofern die übri­gen Vor­aus­set­zun­gen erfüllt sind.

Ein­fa­cher elek­tro­ni­scher Vor­gang” (offen­ge­las­sen)

Das Zugangs­recht des BGÖ bezieht sich nur auf “fer­tig­ge­stell­te” Doku­men­te (BGÖ 6 III b) und auf Doku­men­te, die “durch einen ein­fa­chen elek­tro­ni­schen Vor­gang aus auf­ge­zeich­ne­ten Infor­ma­tio­nen erstellt wer­den kön­nen” (BGÖ 6 II). Ob EMI-Daten unter die­se Bestim­mung fal­len, war strit­tig, weil für die Erstel­lung eines Doku­ments aus den EMI-Daten eine Spe­zi­al­soft­ware erfor­der­lich ist.

Das BVGer konn­te die­se Fra­ge offen­las­sen: Das Erfor­der­nis der ein­fa­chen Her­stel­lung dient dem Schutz der Behör­den vor unver­hält­nis­mä­ssi­gem Auf­wand. Es steht den Behör­den aber – jeden­falls aus Sicht des BGÖ – frei, unver­hält­nis­mä­ssi­gen Auf­wand in Kauf zu neh­men. In die­sem Fall gilt das­sel­be wie bei Kosten­tra­gung durch den Gesuch­stel­ler. Die betref­fen­den Daten unter­ste­hen in die­sem Fall dem BGÖ, fal­len also nicht etwa aus des­sen Gel­tungs­be­reich her­aus. Folg­lich kann sich nur die Behör­de auf die Unver­hält­nis­mä­ssig­keit beru­fen, nicht aber ein Drittbetroffener.

Wie­der­be­schaf­fungs­pflicht unter Umstän­den bejaht (obiter)…

Frag­lich war sodann, ob das ENSI eine – im BGÖ nicht aus­drück­lich ver­an­ker­te – Pflicht trifft, gelösch­te EMI-Daten wie­der zu beschaf­fen. Das BVGer lässt die­sen Punkt letzt­lich offen, bejaht aber grund­sätz­lich den­noch (d.h. obiter; aber deut­lich) eine Wie­der­be­schaf­fungs­pflicht, in erster Linie gestützt auf die Bot­schaft zum BGÖ und auf teleo­lo­gi­sche Überlegungen:

Es wäre tat­säch­lich sto­ssend, wenn sich eine Behör­de ihrer Offen­le­gungs­pflicht gemäss BGÖ ent­zie­hen könn­te, indem sie sich bestimm­ter Doku­men­te ent­le­dig­te. Dies­falls scheint es gerecht­fer­tigt, dass sich die Behör­de um deren Wie­der­be­schaf­fung zu bemü­hen hat. Gleich dürf­te es sich ver­hal­ten, wenn Doku­men­te in der Obhut einer Behör­de ver­lo­ren gehen. In sol­chen Fäl­len wird die Behör­de unab­hän­gig von einem Zugangs­ge­such nach BGÖ regel­mä­ssig ver­pflich­tet sein, die betrof­fe­nen Unter­la­gen oder Daten wie­der­zu­be­schaf­fen. Eine sol­che Ver­pflich­tung dürf­te dage­gen abzu­leh­nen sein, wenn die Behör­de den Besitz an einem Doku­ment recht­mä­ssig oder sogar vor­schrifts­ge­mäss auf­ge­ge­ben hat, nament­lich weil die damit ver­bun­de­ne öffent­li­che Auf­ga­be erfüllt und der Besitz des­halb nicht mehr not­wen­dig ist. So kann die Behör­de ein Doku­ment etwa – ohne eine Kopie davon ange­fer­tigt zu haben – sei­nem ursprüng­li­chen Besit­zer zurück­ge­ben (z.B. die Unter­la­gen zur Bear­bei­tung eines Gesuchs) oder Daten gestützt auf das DSG oder ande­re Bestim­mun­gen ver­nich­ten (bei­spiels­wei­se die Bil­der einer Über­wa­chungs­ka­me­ra, die nach einer gewis­sen Zeit auto­ma­tisch gelöscht wer­den), nach­dem der Zweck der Bear­bei­tung defi­ni­tiv dahin­ge­fal­len ist. Ins­be­son­de­re wenn es sich – wie vor­lie­gend – bloss um ein nicht tat­säch­lich exi­stie­ren­des, vir­tu­el­les Doku­ment im Sin­ne von Art. 5 Abs. 2 BGÖ han­delt, wird natur­ge­mäss oft­mals kein tat­säch­li­ches Doku­ment erstellt, von dem eine Kopie ange­fer­tigt wer­den könn­te. Letz­te­res wäre in gewis­sen Fäl­len auch gar nicht zuläs­sig, etwa wenn sen­si­ble Daten (z.B. DNA-Pro­fi­le, Bil­der einer Über­wa­chungs­ka­me­ra) end­gül­tig zu löschen sind.

… aber feh­len­de Rechts­grund­la­ge für eine Herausgabepflicht

Von der Fra­ge der Wie­der­be­schaf­fungs­pflicht – soll­te eine sol­che bestehen – ist die Fra­ge zu unter­schei­den, ob eine Pri­vat­per­son gelösch­te oder ver­lo­re­ne Daten noch­mals lie­fern muss. Dafür wäre eine geson­der­te Rechts­grund­la­ge erfor­der­lich. Mit ande­ren Wor­ten folgt aus dem BGÖ allein kei­ne Pflicht, Daten erneut zu liefern:

Das BGÖ regelt den Zugang zu amt­li­chen Doku­men­ten, die sich im Besitz einer Behör­de gemäss Art. 2 BGÖ befin­den, und damit das Ver­hält­nis zwi­schen dem Gesuch­stel­ler und der ersuch­ten Behör­de. Aus ihm las­sen sich jedoch kei­ne (nament­lich Herausgabe-)Pflichten zula­sten von pri­va­ten Drit­ten – zumin­dest solan­ge sie nicht aus­nahms­wei­se unter Art. 2 Abs. 1 Bst. b BGÖ fal­len – ableiten.

Prak­ti­sche Pro­ble­me sieht das BVGer des­halb aber kaum:

Ist eine Behör­de tat­säch­lich zur Wie­der­be­schaf­fung von Doku­men­ten ver­pflich­tet, denen sie unge­wollt ver­lu­stig ging oder sich unrecht­mä­ssig ent­le­dig­te, dürf­te sie regel­mä­ssig einen gesetz­li­chen oder ver­trag­li­chen Her­aus­ga­be­an­spruch gegen­über dem Drit­ten haben, in des­sen Besitz sich die frag­li­chen Doku­men­te befin­den, da die­se in sol­chen Fäl­len nach wie vor zur Erfül­lung der damit ver­bun­de­nen öffent­li­chen Auf­ga­be erfor­der­lich sind. Eine Mit­wir­kungs­pflicht von Pri­va­ten ledig­lich zum Zweck der Zugangs­ge­wäh­rung nach BGÖ – unab­hän­gig vom eigent­li­chen Zweck der Daten­be­ar­bei­tung – wür­de dage­gen zu weit gehen.

Im kon­kre­ten Fall fehl­te aber eine Rechts­grund­la­ge für eine Pflicht der KKLAG, die EMI-Daten noch­mals zu liefern.

Publi­ka­ti­on im Inter­net: “wich­ti­ge” amt­li­che Dokumente

Nach VBGÖ 19 sind “wich­ti­ge” amt­li­che Doku­men­te so schnell wie mög­lich im Inter­net ver­füg­bar zu machen, sofern dies kei­nen unan­ge­mes­se­nen Auf­wand ver­ur­sacht und kei­ne gesetz­li­chen Bestim­mun­gen ent­ge­gen­ste­hen. Wie­der­um spielt unan­ge­mes­se­ner Auf­wand kei­ne Rol­le, wenn die betrof­fe­ne Behör­de bereit ist, den ent­ste­hen­den Auf­wand zu tragen.

Ob ein Doku­ment “wich­tig” ist, ist von der zustän­di­gen Behör­de im eige­nen (pflicht­ge­mä­ssen) Ermes­sen zu beur­tei­len. Dabei sind die Erläu­te­run­gen des BJ vom 24. Mai 2006 zur VBGÖ zu beach­ten. Auch die gro­sse Nach­fra­ge nach einem Doku­ment kann ein Indiz für ein erheb­li­ches Inter­es­se an der Ver­öf­fent­li­chung sein. Im Übri­gen sei eine Behör­de aber grund­sätz­lich berech­tigt – wenn auch nicht ver­pflich­tet –, amt­li­che Doku­men­te im Inter­net ver­füg­bar zu machen, die nicht “wich­tig” sind. Vor­lie­gend blieb die Fra­ge letzt­lich aber offen, weil die Daten­schutz­in­ter­es­sen der KKLAG über­wo­gen (s. unten). Die Wich­tig­keit (iSv VBGÖ 19) der EMI-Daten war aber zumin­dest nicht ersichtlich.

Publi­ka­ti­on im Inter­net: Schutz der Pri­vat­sphä­re Dritter

Die Publi­ka­ti­on im Inter­net ist unzu­läs­sig, wenn ihr gesetz­li­che Bestim­mun­gen ent­ge­gen­ste­hen. Betrifft die Publi­ka­ti­on Per­so­nen­da­ten, besteht zwar an sich eine Rechts­grund­la­ge für die Publi­ka­ti­on (DSG 19b III). Es ist aber eine Abwä­gung zwi­schen den Publi­ka­ti­ons­in­ter­es­sen und den Schutz­in­ter­es­sen der betrof­fe­nen Per­so­nen erfor­der­lich. Nicht immer klar ist aller­dings, auf wel­cher Rechts­grund­la­ge die­se Inter­es­sen­ab­wä­gung durch­zu­füh­ren ist:

  • Nach BGÖ 7 II kann der Zugang zu amt­li­chen Doku­men­ten ein­ge­schränkt, auf­ge­scho­ben oder ver­wei­gert wer­den, wenn der Zugang die Pri­vat­sphä­re Drit­ter beein­träch­ti­gen kann. Das öffent­li­che Inter­es­se am Zugang kann nur “aus­nahms­wei­se” überwiegen.
  • Nach DSG 19 Ibis lit. b dür­fen Bun­des­or­ga­ne Per­so­nen­da­ten bekannt­ge­ben, wenn an deren Bekannt­ga­be ein über­wie­gen­des öffent­li­ches Inter­es­se besteht.

Aller­dings sieht BGÖ 9 II vor, dass Zugangs­ge­su­che, die sich auf amt­li­che Doku­men­te bezie­hen, wel­che nicht anony­mi­siert wer­den kön­nen, nach DSG 19 zu beur­tei­len sind. Das traf vor­lie­gend zu, so dass DSG 19 (und damit DSG 19 Ibis lit. b) ein­schlä­gig war.

Das BVGer nennt fol­gen­de Fak­to­ren, die dabei gene­rell von Bedeu­tung sind:

  • Funk­ti­on und Stel­lung der betrof­fe­nen Dritten
  • Aus­wir­kun­gen einer Zugänglichmachung
  • Natur der Daten
  • Gewicht des öffent­li­chen Inter­es­ses, unter Berück­sich­ti­gung des Zwecks des BGÖ (Trans­pa­renz der Ent­schei­dungs­pro­zes­se der Ver­wal­tung, Ver­bes­se­rung der Kon­trol­le über die Ver­wal­tung, Stär­kung des Ver­trau­ens der Bür­ger in die öffent­li­chen Institutionen)
  • all­fäl­li­ge spe­zi­fi­sche Infor­ma­ti­ons­in­ter­es­sen der Öffentlichkeit

Wenn eine Behör­de amt­li­che Doku­men­te mit Per­so­nen­da­ten im Inter­net frei­wil­lig zur Ver­fü­gung stel­len will, ohne ent­spre­chen­de Ver­pflich­tugn, ist ein stren­ge­rer Mas­stab anzu­wen­den als bei der Publi­ka­ti­on “wich­ti­ger” Doku­men­te iSv VBGÖ 19 (d.h. in die­sem Fall ist das öffent­li­che Inter­es­se geringer).

Das BVGer gewich­tigt das pri­va­te Inter­es­se der KKLAG am Unter­blei­ben der Publi­ka­ti­on vor­lie­gend stär­ker. Rele­vant war dabei insb., dass die Daten wenig aus­sa­ge­kräf­tig sind, und, dass die KKLAG auf­grund des Betriebs eines Kern­kraft­werks regel­mä­ssig kri­ti­siert wer­de und dass EMI-Daten gegen die KKLAG ver­wen­det wer­den könn­ten. Dabei – und das ist doch etwas über­ra­schend – sei nicht ein­mal rele­vant, ob dies zu Recht oder zu Unrecht geschähe.

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