[Entscheid nicht rechtskräftig, angefochten beim Bundesgericht]
Greenpeace hatte beim Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI Ende 2014 ein Gesuch zum Zugang von Abluftdaten (sog. EMI-Daten) am Kamin des Kernkraftwerks Leibstadt (KKL) gestellt. Diese Daten dienen dazu, in Notfällen die radioaktive Strahlung zu beurteilen. Im Normalbetrieb ist die Strahlung dagegen so gering, dass EMI-Daten nicht die Strahlung belegen, sondern nur das Funktionieren des Mess-Systems. Gestützt auf eine Bestimmung in der Strahlenschutzverordnung löscht das ENSI EMI-Daten laufend nach 30 Tagen.
Das ENSI wies das Zugangsgesuch zuerst ab, weil man über diese Daten nicht mehr verfüge und die Betreiberin des KKL, die Kernkraftwerk Leibstadt AG (KKLAG), diese trotz Anfrage nicht nochmals übermittelt habe. Der EDÖB hatte dem ENSI in der Folge aber empfohlen (Empfehlung vom 5. Oktober 2015), sich die verlangten Daten wieder zu beschaffen, Greenpeace Zugang zu diesen zu gewähren und diese Daten auch auf seiner Website zu veröffentlichen (VBGÖ 19). Daraufhin erliess das ENSI eine Verfügung, wonach die KKLAG dem ENSI die verlangten Daten herauszugeben habe. Das ENSI werde solche Daten in Zukunft systematisch speichern und laufend im Internet veröffentlichen. Gegen diese Verfügung gelangte die KKLAG, vertreten durch WalderWyss, an das BVGer. Das BVGer heisst die Beschwerde gut und weist die Sache ans ENSI zurück.
Begriff des (amtliche) “Dokuments”: auch Maschinendaten sind erfasst
Vor BVGer war zunächst fraglich, ob es sich bei EMI-Daten um “amtliche Dokumente” iSv BGÖ 5 I handelt. Das BVGer hält zunächst fest, dass auch Daten als (amtliche) “Dokumente” in Frage kommen, die nicht von Menschen geschaffen wurden:
Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin sind nicht nur von Menschen erstellte Dokumente als amtliche Dokumente zu betrachten; dafür gibt es keinen sachlichen Grund. Das BGÖ macht keine Vorgaben betreffend Ersteller oder (ursprüngliche) Herkunft eines amtlichen Dokuments. Entsprechend hält Art. 5 Abs. 1 Bst. a BGÖ fest, die Information könne auf einem beliebigen Informationsträger aufgezeichnet sein. Nichts anderes ergibt sich aus der Botschaft (vgl. BBl 2003 1991), welche im Übrigen – anders als von der Beschwerdeführerin behauptet – nicht nur Beispiele anführt, die sich einzig auf von Menschen verfasste Dokumente beziehen (können). Namentlich Statistiken, Ton- oder Bildaufzeichnungen und Dokumente auf elektronischen Datenträgern können durchaus auch rein maschinell gefertigt werden. Zwar wird ihnen jeweils eine menschliche Programmierung zugrunde liegen. Dies gilt indes auch für rein mechanisch erzeugte Daten, weshalb diese ebenfalls mit ihrer Erfassung als amtliches Dokument zu betrachten sind, sofern die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind.
“Einfacher elektronischer Vorgang” (offengelassen)
Das Zugangsrecht des BGÖ bezieht sich nur auf “fertiggestellte” Dokumente (BGÖ 6 III b) und auf Dokumente, die “durch einen einfachen elektronischen Vorgang aus aufgezeichneten Informationen erstellt werden können” (BGÖ 6 II). Ob EMI-Daten unter diese Bestimmung fallen, war strittig, weil für die Erstellung eines Dokuments aus den EMI-Daten eine Spezialsoftware erforderlich ist.
Das BVGer konnte diese Frage offenlassen: Das Erfordernis der einfachen Herstellung dient dem Schutz der Behörden vor unverhältnismässigem Aufwand. Es steht den Behörden aber – jedenfalls aus Sicht des BGÖ – frei, unverhältnismässigen Aufwand in Kauf zu nehmen. In diesem Fall gilt dasselbe wie bei Kostentragung durch den Gesuchsteller. Die betreffenden Daten unterstehen in diesem Fall dem BGÖ, fallen also nicht etwa aus dessen Geltungsbereich heraus. Folglich kann sich nur die Behörde auf die Unverhältnismässigkeit berufen, nicht aber ein Drittbetroffener.
Wiederbeschaffungspflicht unter Umständen bejaht (obiter)…
Fraglich war sodann, ob das ENSI eine – im BGÖ nicht ausdrücklich verankerte – Pflicht trifft, gelöschte EMI-Daten wieder zu beschaffen. Das BVGer lässt diesen Punkt letztlich offen, bejaht aber grundsätzlich dennoch (d.h. obiter; aber deutlich) eine Wiederbeschaffungspflicht, in erster Linie gestützt auf die Botschaft zum BGÖ und auf teleologische Überlegungen:
Es wäre tatsächlich stossend, wenn sich eine Behörde ihrer Offenlegungspflicht gemäss BGÖ entziehen könnte, indem sie sich bestimmter Dokumente entledigte. Diesfalls scheint es gerechtfertigt, dass sich die Behörde um deren Wiederbeschaffung zu bemühen hat. Gleich dürfte es sich verhalten, wenn Dokumente in der Obhut einer Behörde verloren gehen. In solchen Fällen wird die Behörde unabhängig von einem Zugangsgesuch nach BGÖ regelmässig verpflichtet sein, die betroffenen Unterlagen oder Daten wiederzubeschaffen. Eine solche Verpflichtung dürfte dagegen abzulehnen sein, wenn die Behörde den Besitz an einem Dokument rechtmässig oder sogar vorschriftsgemäss aufgegeben hat, namentlich weil die damit verbundene öffentliche Aufgabe erfüllt und der Besitz deshalb nicht mehr notwendig ist. So kann die Behörde ein Dokument etwa – ohne eine Kopie davon angefertigt zu haben – seinem ursprünglichen Besitzer zurückgeben (z.B. die Unterlagen zur Bearbeitung eines Gesuchs) oder Daten gestützt auf das DSG oder andere Bestimmungen vernichten (beispielsweise die Bilder einer Überwachungskamera, die nach einer gewissen Zeit automatisch gelöscht werden), nachdem der Zweck der Bearbeitung definitiv dahingefallen ist. Insbesondere wenn es sich – wie vorliegend – bloss um ein nicht tatsächlich existierendes, virtuelles Dokument im Sinne von Art. 5 Abs. 2 BGÖ handelt, wird naturgemäss oftmals kein tatsächliches Dokument erstellt, von dem eine Kopie angefertigt werden könnte. Letzteres wäre in gewissen Fällen auch gar nicht zulässig, etwa wenn sensible Daten (z.B. DNA-Profile, Bilder einer Überwachungskamera) endgültig zu löschen sind.
… aber fehlende Rechtsgrundlage für eine Herausgabepflicht
Von der Frage der Wiederbeschaffungspflicht – sollte eine solche bestehen – ist die Frage zu unterscheiden, ob eine Privatperson gelöschte oder verlorene Daten nochmals liefern muss. Dafür wäre eine gesonderte Rechtsgrundlage erforderlich. Mit anderen Worten folgt aus dem BGÖ allein keine Pflicht, Daten erneut zu liefern:
Das BGÖ regelt den Zugang zu amtlichen Dokumenten, die sich im Besitz einer Behörde gemäss Art. 2 BGÖ befinden, und damit das Verhältnis zwischen dem Gesuchsteller und der ersuchten Behörde. Aus ihm lassen sich jedoch keine (namentlich Herausgabe-)Pflichten zulasten von privaten Dritten – zumindest solange sie nicht ausnahmsweise unter Art. 2 Abs. 1 Bst. b BGÖ fallen – ableiten.
Praktische Probleme sieht das BVGer deshalb aber kaum:
Ist eine Behörde tatsächlich zur Wiederbeschaffung von Dokumenten verpflichtet, denen sie ungewollt verlustig ging oder sich unrechtmässig entledigte, dürfte sie regelmässig einen gesetzlichen oder vertraglichen Herausgabeanspruch gegenüber dem Dritten haben, in dessen Besitz sich die fraglichen Dokumente befinden, da diese in solchen Fällen nach wie vor zur Erfüllung der damit verbundenen öffentlichen Aufgabe erforderlich sind. Eine Mitwirkungspflicht von Privaten lediglich zum Zweck der Zugangsgewährung nach BGÖ – unabhängig vom eigentlichen Zweck der Datenbearbeitung – würde dagegen zu weit gehen.
Im konkreten Fall fehlte aber eine Rechtsgrundlage für eine Pflicht der KKLAG, die EMI-Daten nochmals zu liefern.
Publikation im Internet: “wichtige” amtliche Dokumente
Nach VBGÖ 19 sind “wichtige” amtliche Dokumente so schnell wie möglich im Internet verfügbar zu machen, sofern dies keinen unangemessenen Aufwand verursacht und keine gesetzlichen Bestimmungen entgegenstehen. Wiederum spielt unangemessener Aufwand keine Rolle, wenn die betroffene Behörde bereit ist, den entstehenden Aufwand zu tragen.
Ob ein Dokument “wichtig” ist, ist von der zuständigen Behörde im eigenen (pflichtgemässen) Ermessen zu beurteilen. Dabei sind die Erläuterungen des BJ vom 24. Mai 2006 zur VBGÖ zu beachten. Auch die grosse Nachfrage nach einem Dokument kann ein Indiz für ein erhebliches Interesse an der Veröffentlichung sein. Im Übrigen sei eine Behörde aber grundsätzlich berechtigt – wenn auch nicht verpflichtet –, amtliche Dokumente im Internet verfügbar zu machen, die nicht “wichtig” sind. Vorliegend blieb die Frage letztlich aber offen, weil die Datenschutzinteressen der KKLAG überwogen (s. unten). Die Wichtigkeit (iSv VBGÖ 19) der EMI-Daten war aber zumindest nicht ersichtlich.
Publikation im Internet: Schutz der Privatsphäre Dritter
Die Publikation im Internet ist unzulässig, wenn ihr gesetzliche Bestimmungen entgegenstehen. Betrifft die Publikation Personendaten, besteht zwar an sich eine Rechtsgrundlage für die Publikation (DSG 19b III). Es ist aber eine Abwägung zwischen den Publikationsinteressen und den Schutzinteressen der betroffenen Personen erforderlich. Nicht immer klar ist allerdings, auf welcher Rechtsgrundlage diese Interessenabwägung durchzuführen ist:
- Nach BGÖ 7 II kann der Zugang zu amtlichen Dokumenten eingeschränkt, aufgeschoben oder verweigert werden, wenn der Zugang die Privatsphäre Dritter beeinträchtigen kann. Das öffentliche Interesse am Zugang kann nur “ausnahmsweise” überwiegen.
- Nach DSG 19 Ibis lit. b dürfen Bundesorgane Personendaten bekanntgeben, wenn an deren Bekanntgabe ein überwiegendes öffentliches Interesse besteht.
Allerdings sieht BGÖ 9 II vor, dass Zugangsgesuche, die sich auf amtliche Dokumente beziehen, welche nicht anonymisiert werden können, nach DSG 19 zu beurteilen sind. Das traf vorliegend zu, so dass DSG 19 (und damit DSG 19 Ibis lit. b) einschlägig war.
Das BVGer nennt folgende Faktoren, die dabei generell von Bedeutung sind:
- Funktion und Stellung der betroffenen Dritten
- Auswirkungen einer Zugänglichmachung
- Natur der Daten
- Gewicht des öffentlichen Interesses, unter Berücksichtigung des Zwecks des BGÖ (Transparenz der Entscheidungsprozesse der Verwaltung, Verbesserung der Kontrolle über die Verwaltung, Stärkung des Vertrauens der Bürger in die öffentlichen Institutionen)
- allfällige spezifische Informationsinteressen der Öffentlichkeit
Wenn eine Behörde amtliche Dokumente mit Personendaten im Internet freiwillig zur Verfügung stellen will, ohne entsprechende Verpflichtugn, ist ein strengerer Masstab anzuwenden als bei der Publikation “wichtiger” Dokumente iSv VBGÖ 19 (d.h. in diesem Fall ist das öffentliche Interesse geringer).
Das BVGer gewichtigt das private Interesse der KKLAG am Unterbleiben der Publikation vorliegend stärker. Relevant war dabei insb., dass die Daten wenig aussagekräftig sind, und, dass die KKLAG aufgrund des Betriebs eines Kernkraftwerks regelmässig kritisiert werde und dass EMI-Daten gegen die KKLAG verwendet werden könnten. Dabei – und das ist doch etwas überraschend – sei nicht einmal relevant, ob dies zu Recht oder zu Unrecht geschähe.