Die Gen­fer Cour de Justi­ce hat am 26. März 2025 ein Urteil zur Straf­bar­keit einer Ver­let­zung der Min­dest­vor­ga­ben an die Daten­si­cher­heit gefällt (Urteil ACPR/239/2025), über das Fran­çois Char­let bei Swiss­pri­va­cy bereits berich­tet hat.

Hin­ter­grund war ein Aus­bil­dungs­gang an einer Han­dels­schu­le, bei dem Kli­nik­mit­ar­bei­te­rin E ihrer Klas­sen­kol­le­gin A medi­zi­ni­sche Anga­ben über eine ande­re Klas­sen­kol­le­gin mit­ge­teilt haben soll. A war bei der­sel­ben Kli­nik in psych­ia­tri­scher Betreu­ung und woll­te in der Fol­ge wis­sen, ob viel­leicht auch auf ihre Daten zuge­grif­fen wor­den war. Tat­säch­lich ergab eine Über­prü­fung einen Zugriff durch E auch auf ihre Daten. Es gab in der Fol­ge eine wei­te­re Dis­kus­si­on und eine poli­zei­li­che Unter­su­chung über Grün­de und Aus­mass des Zugriffs. Offen­bar war E in der Buch­hal­tung der Kli­nik beschäf­tigt und konn­te des­halb auf die Pati­en­ten­ak­te zugrei­fen, und zwar auch auf medi­zi­ni­sche Daten, weil die Kli­nik­soft­ware kei­nen nur ein­ge­schränk­ten Zugriff erlaubte.

Das Ver­fah­ren wur­de von der Staats­an­walt­schaft nicht ein­mal an die Hand genom­men. Die Beschwer­de von A gegen die Nicht­an­hand­nah­me lehnt die Cour de Justi­ce mit knap­pen Begrün­dun­gen ab:

Eine Ver­let­zung des Aus­kunfts­rechts nach Art. 60 Abs. 1 DSG konn­te nicht fest­ge­stellt wer­den. Zwar war A nicht mit­ge­teilt wor­den, auf wel­che ihrer Daten genau zugrif­fen wor­den war, aber das sei unschädlich:

[Es ist] uner­heb­lich, dass die mit­ge­teil­te Infor­ma­ti­on nicht angibt, ob […] tat­säch­lich auf medi­zi­ni­sche Ele­men­te zuge­grif­fen wur­de. Im Sin­ne von Art. 60 Abs. 1 DSG ist allein die voll­stän­di­ge Infor­ma­ti­on über den Umfang des Zugriffs­rechts des Ver­wal­tungs­per­so­nals ent­schei­dend. Hin­zu kommt der aus­schliess­lich vor­sätz­li­che Cha­rak­ter des Ver­sto­sses gegen Art. 60 DSG.

Auch eine Ver­let­zung der Min­dest­vor­ga­ben an die Daten­si­cher­heit – wegen des umfas­sen­den statt beschränk­ten Zugriffs auf die Pati­en­ten­ak­te sei nicht erstellt:

  • Auf­grund der Unklar­heit von Art. 61 Abs. 1 lit. c DSG kön­nen nur offen­sicht­li­che Ver­let­zun­gen erfasst sein, etwa wäre das voll­stän­di­ge Feh­len von Sicher­heits­mass­nah­men, nicht aber bloss unzu­rei­chen­de Mass­nah­men oder eine unvoll­stän­di­ge Rege­lung, denn hier sei­en Risi­ko­über­le­gun­gen und Ange­mes­sen­heits­fra­gen massgebend.
  • Hier gab es grund­sätz­lich einen Anlass für den strit­ti­gen Zugriff, wes­halb kein kla­rer Fall vor­lie­ge. Zudem unter­lie­ge E als Hilfs­per­son ja auch dem Patientengeheimnis

Das Urteil ist im Ergeb­nis wenig überraschend:

  • Es dürf­te kaum Appe­tit bestehen, Daten­schutz­ver­let­zun­gen straf­recht­lich zu ver­fol­gen, und das selbst in einem Fall wie hier, bei dem es um einen zumin­dest höchst frag­wür­di­gen Zugriff auf Gesund­heits­da­ten ging. Ins­be­son­de­re legi­ti­miert ein begrün­de­tes Zugriffsrecht nicht jeden effek­ti­ven Zugriff. Inso­fern kann man der Beschwer­de­füh­re­rin nach­emp­fin­den, dass sie den Fall nicht mit einem Nicht­ein­tre­ten auf sich beru­hen las­sen wollte.
  • Rich­tig ist aber, dass sich die Cour de Justi­ce der kri­ti­schen Lite­ra­tur ange­schlos­sen hat und nur abso­lut offen­sicht­li­che Fäl­le von Sicher­heits­ver­let­zun­gen als poten­ti­ell straf­recht­lich rele­vant ein­stuft. Im wei­ten Grau­be­reich der „ange­mes­se­nen“ Daten­si­cher­heit wäre eine Straf­bar­keit tat­säch­lich kaum mit dem Bestimmt­heits­grund­satz ver­ein­bar (dazu hier).

Nicht geprüft wur­de eine Ver­let­zung von Art. 321 StGB oder Art. 62 DSG. Bei­des wäre nicht a prio­ri aus­zu­schlie­ssen, zumin­dest wenn man davon aus­geht, dass eine Offen­ba­rung inner­halb der Orga­ni­sa­ti­on einer juri­sti­schen Per­son tat­be­stands­mä­ssig sei kann (a.A. nun Reto Fer­ra­ri-Vis­ca, in sei­ner Diss, Rz. 958: kein bank­in­ter­nes Bank­ge­heim­nis; mit Blick auf die per­sön­li­che Trä­ger­schaft des Geheim­nis­ses und auf den AXA-Pen­si­ons­kas­sen­ent­scheid des BVGer zumin­dest fraglich).