Der EDÖB hat die Sachverhaltsabklärung i.S. Helsana+ nach Art. 27 und 29 DSG mit einer Empfehlung (PDF) abgeschlossen, weil sich die Parteien über einige Punkte nicht einig wurden. Die Empfehlung betrifft das Bonusprogramm „Helsana+“, das die Helsana-Zusatzversicherung anbietet. Das Bonusprogramm
ermöglicht das Sammeln von Punkten für gesundheitsbewusstes Verhalten, soziales und gesellschaftliches Engagement und Verbundenheit gegenüber Helsana. Die gesammelten Pluspunkte können gegen Geldwerte, Sachleistungen, Gutscheine usw. oder in Form von Bonusvorteilen (wie z.B. Rabatten) bei Partnern von Helsana eingelöst werden.
[Nutzungs- und Datenschutzbestimmungen für die Helsana+ App]
Die Datenschutzbestimmungen enthalten folgende Bestimmung:
Der Nutzer stimmt ausdrücklich zu, dass Helsana im Rahmen der Abwicklung der Helsana+ App auf die bei den Versicherungsgesellschaften der Helsana-Gruppe vorhandenen Versichertendaten des Nutzers zurückgreifen darf.
Dadurch kann die Anbietein des Programms, die Helsana Zusatzversicherungen AG, den Nutzer unter Abgleich mit seinen Versichertendaten identifizieren. Dabei erfolgt ein Zugriff auf Daten aus der Grundversicherung (Versichertenstatus des Nutzers).
Der EDÖB hat das Bonusprogramm im Rahmen der Sachverhaltsabklärung untersucht und in zwei Punkten beanstandet:
- Es sei datenschutzwidrig, wenn die Helsana Zusatzversicherungen AG im Rahmen des Anmeldeprozesses auf Daten des Grundversicherers zugreife. Der Grundversicherer sei ein Bundesorgan und könne daher nur mit einer gesetzlichen Grundlage tätig werden. Eine solche fehle für die Datenbekanntgabe an die Helsana Zusatzversicherungen AG.
- Bonuspunkte können in geldwerte Vorteile umgewandelt werden, wobei die Höhe der Vorteile u.a. davon abhängt, ob der Nutzer bei der Helsana grund- und/oder zusatzversichert ist. Demnach bewirke die Bearbeitung der Kassenzugehörigkeit wirtschaftlich eine Prämienrückerstattung. Diese verletze das KVG, weshalb die entsprechende Datenbearbeitung unzulässig sei.
In allen anderen Punkten erachtete der EDÖB das Programm als datenschutzkonform (vgl. die Medienmitteilung der Helsana).
Die Helsana hat im Vorfeld der Empfehlung unpräjudiziell beschlossen, auf die Datenübermittlung aus der Grund- in die Zusatzversicherung zu verzichten und stattdessen von den Nutzern der App einen Nachweis der Grundversicherung einzuholen, was zwar das Problem der Datenbekanntgabe durch den Grundversicherer umgeht, im Ergebnis aber auf das Gleiche herausläuft.
Der vorliegende Fall betrifft im Kern Fragen der Einwilligung (und des Versicherungsrechts, aber das soll hier nicht weiter interessieren):
- Bedeutung der Einwilligung bei Bundesorganen: Unterstellt man, dass die Grundversicherer der Helsana-Gruppe bei der Bekanntgabe von Versicherungsdaten an die Helsana Zusatzversicherungen AG im Rahmen des Bonusprogramms als Bundesorgan handeln, gilt das Legalitätsprinzip (Art. 17 Abs. 1 DSG). Art. 19 Abs. 1 lit. b DSG erlaubt jedoch die Datenbekanntgabe mit Einwilligung “im Einzelfall”. Ein Einzelfall dürfte hier vorliegen, weil die Einwilligung einen klar definierten Fall betrifft, was bereits einen “Einzelfall” begründet; darüber hinaus betrifft die Einwilligung sogar nur eine einzige Bearbeitung.
- Freiwilligkeit der Einwilligung: Der EDÖB hält die Einwilligung in die Datenerhebung durch die Helsana Zusatzversicherungen AG (richtiger wäre wohl: die Einwilligung in die Datenbekanntgabe durch den Grundversicherer; die Erhebung selbst verletzt prima vista keinen Bearbeitungsgrundsatz und braucht daher keinen Rechtfertigungsgrund) nicht für freiwillig, weil die Einwilligung zwingend mit dem Zugang zum Programm gekoppelt sei.
Die Wiedergabe des Sachverhalts in der Empfehlung und die rechtlichen Erwägungen des EDÖB sind zu knapp für eine vertiefte Analyse. Folgende Punkte fallen aber auf:
- Der EDÖB geht weiterhin von einem Kopplungsverbot aus (wie schon früher; dazu vgl. hier und hier), das er auch hier nicht näher begründet. Er ist aber offenbar der Meinung, der Nutzer könne nicht frei entscheiden, ob er der fraglichen Datenbekanntgabe zustimmen will, weil er ohne diese Zustimmung nicht am Bonusprogramm teilnehmen kann. Das ist m.E. falsch. Zunächst ist niemand darauf angewiesen, an einem Bonusprogramm teilzunehmen. Dazu sei an BGE 129 III 35 i.S. Post vs. VgT zum privatrechtlichen Kontrahierungszwang erinnert:
“Für die Konkretisierung dieses Grundsatzes ist jedoch vorab festzuhalten, dass die Vertragsfreiheit – und damit auch die Vertragsabschlussfreiheit – als Element der Privatautonomie einen ausserordentlich hohen Stellenwert in der Privatrechtsordnung hat. Da sich Einschränkungen der Vertragsabschlussfreiheit bereits heute in grosser Zahl aus ausdrücklichen – meist öffentlichrechtlichen – Gesetzesbestimmungen ergeben, haben Kontrahierungspflichten ausserhalb von ausdrücklichen gesetzlichen Anordnungen ausgesprochenen Ausnahmecharakter und können nur mit grosser Zurückhaltung angenommen werden. Unter bestimmten Voraussetzungen kann jedoch aus dem Grundsatz des Verbots sittenwidrigen Verhaltens eine Kontrahierungspflicht abgeleitet werden.
- Ein Kopplungsverbot ist nicht das gleiche wie ein Kontrahierungszwang, ist damit aber verwandt, weil es die Vertragsfreiheit ebenfalls einschränkt. Entsprechende Überlegungen fehlen in der Empfehlung.
- Zweitens kann ein Kopplungsverbot ohnehin nur dann greifen, wenn die Einwilligung eine Datenbearbeitung betrifft, die mit dem Vertragsgegenstand nichts zu tun hat. Wenn eine Datenbearbeitung für einen Vertrag erforderlich ist, ist sie selbstverständlich erlaubt; dann liegt keine Kopplung vor, sondern eine Modalität der Vertragsabwicklung. I.d.R. ist in diesem Fall denn auch keine Einwilligung erforderlich. Ist sie es ausnahmsweise dennoch, z.B. weil ein Bundesorgan wie hier Daten an Dritte bekannt gibt, ändert dies nichts an der sachlichen Verbindung zwischen dem Vertrag und der Einwilligung.
- Vorliegend scheint eine solche sachliche Verbindung zu bestehen, weil das Bonusprogramm u.a. vom Versicherungsstatus abhängig ist. Ob diese Ausgestaltung des Bonusprogramms zulässig ist, ist eine andere Frage, die nicht über das Kopplungsverbot gelöst werden kann. Andernfalls wird das Kopplungsverbot – sollte ein solches im schweizerischen Recht überhaupt bejaht werden – als Instrument der Inhaltskontrolle zweckentfremdet.