Das vor­lie­gen­de Urteil vom 4. Okto­ber 2024 (C‑21/23 i.S. Lin­den­apo­the­ke) betrifft den Betrei­ber der Lin­den-Apo­the­ke, der über Ama­zon apo­the­ken­pflich­ti­ge Arz­nei­mit­tel ver­treibt. Eine Kon­kur­ren­tin hat­te ein Ver­bot bean­tragt, sofern Kun­den in die Ver­ar­bei­tung der ent­spre­chen­den Daten nicht ein­wil­li­gen. Der deut­sche BGH hat­te dem EuGH im ent­spre­chen­den Ver­fah­ren Fra­gen vorgelegt.

Der EuGH bestä­tigt zunächst, die DSGVO den Mit­glied­staa­ten nicht ver­bie­tet, wett­be­werbs­recht­lich begrün­de­te Kon­kur­ren­ten­be­schwer­den zuzulassen:

  • Die Ver­ar­bei­tung von Per­so­nen­da­ten hat hohe wirt­schaft­li­che Bedeu­tung. Es kann daher sein, dass die Ein­hal­tung des Daten­schutz­rechts wett­be­werbs­re­le­vant ist (was der EuCH in der Sache Bun­des­kar­tell­amt schon bestä­tigt hat, Rs. C‑252/21).
  • Art. 80 Abs. 2 DSGVO (Mit­glied­staa­ten kön­nen das Beschwer­de­recht bestimm­ter Orga­ni­sa­tio­nen regeln) ist eine Öff­nungs­klau­sel. Auch wenn hier nicht von Kon­kur­ren­ten­be­schwer­den die Rede ist, ist hier kei­ne Voll­har­mo­ni­sie­rung beab­sich­tigt. Kon­kur­ren­ten­be­schwer­den kön­nen die Wirk­sam­keit der DSGVO fer­ner ver­stär­ken. Des­halb und aus wei­te­ren Über­le­gun­gen erlaubt die DSGVO den Mit­glied­staa­ten wett­be­werbs­recht­lich begrün­de­te Konkurrentenbeschwerden.

Prak­tisch viel rele­van­ter ist der zwei­te Punkt, die Reich­wei­te des Begriffs der Gesund­heits­da­ten. Der BGH hat­te gefragt, ob Daten aus der Online­be­stel­lung von Arz­nei­mit­teln (wie z. B. Name oder Lie­fer­adres­se ) Gesund­heits­da­ten sind. Das sei der Fall, wenn aus Daten Rück­schlüs­se auf den Gesund­heits­zu­stand “gezo­gen wer­den kön­nen”. Dazu genügt es aber schon, wenn sich sol­che Rück­schlüs­se indi­rekt ergeben:

82 Die­se Bestim­mun­gen [ins­be­son­de­re Art. 9 Abs. 1 DSGVO] kön­nen ins­be­son­de­re nicht dahin aus­ge­legt wer­den, dass die Ver­ar­bei­tung per­so­nen­be­zo­ge­ner Daten, die indi­rekt sen­si­ble Infor­ma­tio­nen über eine natür­li­che Per­son offen­ba­ren kön­nen, von der in die­sen Bestim­mun­gen vor­ge­se­he­nen ver­stärk­ten Schutz­re­ge­lung aus­ge­nom­men ist […].

83 Damit per­so­nen­be­zo­ge­ne Daten als Gesund­heits­da­ten im Sin­ne von Art. 8 Abs. 1 der Richt­li­nie 95/46 und Art. 9 Abs. 1 DSGVO ein­ge­stuft wer­den kön­nen, genügt folg­lich, dass aus die­sen Daten mit­tels gedank­li­cher Kom­bi­na­ti­on oder Ablei­tung auf den Gesund­heits­zu­stand der betrof­fe­nen Per­son geschlos­sen wer­den kann […].

Das soll pri­ma vista für Bestell­da­ten gelten:

84 Aus den Daten, die ein Kun­de bei der Bestel­lung von apo­the­ken­pflich­ti­gen Arz­nei­mit­teln über eine Online­platt­form ein­gibt, kann mit­tels gedank­li­cher Kom­bi­na­ti­on oder Ablei­tung auf den Gesund­heits­zu­stand der betrof­fe­nen Per­son […] geschlos­sen wer­den, da die Bestel­lung eine Ver­bin­dung zwi­schen einem Arz­nei­mit­tel, sei­nen the­ra­peu­ti­schen Indi­ka­tio­nen und Anwen­dun­gen und einer iden­ti­fi­zier­ten oder durch Anga­ben wie den Namen oder die Lie­fer­adres­se iden­ti­fi­zier­ba­ren natür­li­chen Per­son herstellt.

Der BGH war hier aber unsi­cher, weil Bestel­lun­gen ja auch für Drit­te getä­tigt wer­den kön­nen. Der EuGH folgt dem nicht:

88 Dem­nach ist, wenn ein Nut­zer einer Online­platt­form bei der Bestel­lung von apo­the­ken­pflich­ti­gen, aber nicht ver­schrei­bungs­pflich­ti­gen Arz­nei­mit­teln per­so­nen­be­zo­ge­ne Daten über­mit­telt, die Ver­ar­bei­tung die­ser Daten durch den Betrei­ber einer Apo­the­ke, der die­se Arz­nei­mit­tel über die Online­platt­form ver­treibt, als eine Ver­ar­bei­tung von Gesund­heits­da­ten […] anzu­se­hen, da durch die Ver­ar­bei­tung die­ser Daten Infor­ma­tio­nen über den Gesund­heits­zu­stand einer natür­li­chen Per­son offen­ge­legt wer­den kön­nen, und zwar unab­hän­gig davon, ob die­se Infor­ma­tio­nen den Nut­zer oder eine ande­re Per­son betref­fen, für die die­se Bestel­lung getä­tigt wird […].

Zur Begrün­dung wen­det der EuGH die daten­schutz­recht­li­che All­zweck­waf­fe an:

89 Eine Aus­le­gung die­ser Bestim­mun­gen, bei der nach der Art der betref­fen­den Arz­nei­mit­tel und danach dif­fe­ren­ziert wür­de, ob ihr Ver­kauf einer ärzt­li­chen Ver­schrei­bung bedarf, stün­de näm­lich nicht im Ein­klang mit dem in Rn. 81 des vor­lie­gen­den Urteils genann­ten Ziel eines hohen Schutz­ni­veaus. […]

Des­halb:

90 Folg­lich stel­len die Anga­ben, die die Kun­den eines Apo­the­ken­be­trei­bers bei der Online­be­stel­lung apo­the­ken­pflich­ti­ger, aber nicht ver­schrei­bungs­pflich­ti­ger Arz­nei­mit­tel ein­ge­ben, Gesund­heits­da­ten […] dar […].