Art. 88 DSGVO ist eine Öffnungsklausel, die den Mitgliedstaaten erlaubt, “spezifischere Vorschriften” für den Schutz der Artbeitnehmer zu erlassen, bspw. im Bereich von Kollektivvereinbarungen, des Managements, der Planung und der Organisation der Arbeit, der Gleichheit und Diversität, des Gesundheitsschutzes oder der Kündigung.
Das Verwaltungsgericht (VG) Wiesbaden hatte dem EuGH hierzu eine Frage vorgelegt. Es ging dabei um Erlasse des Hessischen Kultusministeriums, die während der Corona-Zeit die Teilnahme am Unterricht per Videokonferenz ermöglichten. Dabei war vorgesehen, dass die Zuschaltung zur Videokonferenz nur mit Einwilligung der Schüler bzw. ihrer Eltern zulässig ist, aber nicht die Einwilligung der Lehrkräfte – dies deshalb, weil das hessische Datenschutzgesetz die Bearbeitung von Arbeitnehmendendaten erlaubt, soweit diese zur Begründung oder Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich ist (gleich wie § 26 Abs. 1 des deutschen BDSG). Dagegen hatte ein Personalrat der Lehrerinnen und Lehrer erhoben.
Der EuGH kam zum Ergebnis, dass die Mitgliedstaaten nur dann spezifischere Vorschriften im Arbeitsbereich erlassen können, wenn diese die Vorgaben von Art. 88 Abs. 2 DSGVO einhalten. Sie müssen also besondere Massnahmen zur Wahrung der menschlichen Würde, der berechtigten Interessen und der Grundrechte der betroffenen Person umfassen. Sie können aber nicht einfach die DSGVO wiederholen, und sie können Art. 6 und 9 DSGVO (Rechtsgrundlagen) auch nicht ändern.
Das VG Wiesbaden muss nun also beurteilen, ob die massgebliche hessische Bestimmung anwendbar ist oder nicht mit Art. 88 DSGVO vereinbar ist – wenn dies nicht der Fall sein sollte, wird Art. 6 DSGVO zu prüfen sein. Die Frage kann sich auch auf § 26 BDSG auswirken.