EuGH (Rs. C‑621/22): Prä­zi­sie­run­gen zum berech­tig­ten wirt­schaft­li­chen Interesse

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Das ange­nehm knap­pe Urteil des EuGH in der Rs. C‑621/22 vom 4. Okto­ber 2024 betraf berech­tig­te Inter­es­sen, genau­er die Fra­ge, ob ein berech­tig­tes Inter­es­se die Offen­le­gung von Mit­glie­der­da­ten durch einen Sport­ver­band an Spon­so­ren, für Wer­bung, gegen Ent­gelt, recht­fer­ti­gen kann.

Der EuGH erin­nert zunächst dar­an, dass das berech­tig­te Inter­es­se greift, wenn (i) die Ver­ar­bei­tung ein berech­tig­tes Inter­es­se des Ver­ant­wort­li­che oder eines Drit­ten wahr­nimmt, (ii) die Ver­ar­bei­tung dafür erfor­der­lich ist (was eine ent­spre­chen­de Prü­fung und Daten­mi­ni­mie­rung ver­langt) und (iii) die Inter­es­sen oder Grund­rech­te und Grund­frei­hei­ten der betrof­fe­nen Person(en) nicht über­wie­gen (was das Sach­ge­richt prü­fen muss). Die­se Inter­es­sen sind in der Daten­schutz­er­klä­rung auch offen­zu­le­gen (nach der DSGVO – in der Schweiz gibt es ent­ge­gen dem Wunsch des EDÖB kei­ne Pflicht, über­wie­gen­de Inter­es­sen zu nennen).

Berech­tigt” sind Inter­es­sen nicht nur, wenn sie gesetz­li­chen Nie­der­schlag gefun­den haben – es reicht ein son­sti­ges Inter­es­se, sofern es recht­mä­ssig ist. Aber auch wirt­schaft­li­che Inter­es­sen sind grund­sätz­lich berech­tigt und kön­nen u.U. über­wie­gen – das ist nicht neu und eigent­lich selbst­ver­ständ­lich, war aber gleich­wohl nicht unumstritten:

48 Inso­weit hat der Gerichts­hof nicht aus­ge­schlos­sen, dass ein wirt­schaft­li­ches Inter­es­se des Ver­ant­wort­li­chen, das in der Bewer­bung und dem Ver­kauf von Wer­be­flä­chen für Mar­ke­ting­zwecke besteht, als ein berech­tig­tes Inter­es­se im Sin­ne von Art. 6 Abs. 1 Unter­abs. 1 Buchst. f DSGVO ange­se­hen wer­den kann […].

49 Unter die­sen Umstän­den könn­te ein wirt­schaft­li­ches Inter­es­se des Ver­ant­wort­li­chen wie das oben in Rn. 47 genann­te ein berech­tig­tes Inter­es­se im Sin­ne von Art. 6 Abs. 1 Unter­abs. 1 Buchst. f DSGVO dar­stel­len, sofern es nicht geset­zes­wid­rig ist. Es ist jedoch Sache des vor­le­gen­den Gerichts, das Vor­lie­gen eines sol­chen Inter­es­ses im Ein­zel­fall unter Berück­sich­ti­gung des anwend­ba­ren Rechts­rah­mens und aller Umstän­de der Rechts­sa­che zu beurteilen.

Unter dem Titel der mil­de­ren Mass­nah­men berück­sich­tigt der EuGH aller­dings nicht nur die Daten­mi­ni­mie­rung, son­dern auch die Ein­wil­li­gungs­mög­lich­keit:

51 Was zwei­tens die Vor­aus­set­zung der Erfor­der­lich­keit die­ser Ver­ar­bei­tung zur Ver­wirk­li­chung des betref­fen­den Inter­es­ses angeht und ins­be­son­de­re das Vor­lie­gen von Mit­teln, die eben­so geeig­net sind und weni­ger stark in die Grund­rech­te und Grund­frei­hei­ten der betrof­fe­nen Per­so­nen ein­grei­fen, ist fest­zu­stel­len, dass es einem Sport­ver­band wie dem KNLTB, der per­so­nen­be­zo­ge­ne Daten sei­ner Mit­glie­der gegen Ent­gelt gegen­über Drit­ten offen­le­gen möch­te, ins­be­son­de­re mög­lich wäre, sei­ne Mit­glie­der im Vor­aus zu infor­mie­ren und sie zu fra­gen, ob sie möch­ten, dass ihre Daten für Wer­be- oder Mar­ke­ting­zwecke an Drit­te wei­ter­ge­ge­ben werden.

52 Die­se Lösung wür­de es den betrof­fe­nen Mit­glie­dern ermög­li­chen, im Ein­klang mit dem oben in Rn. 43 genann­ten Grund­satz der Daten­mi­ni­mie­rung die Kon­trol­le über die Offen­le­gung ihrer per­so­nen­be­zo­ge­nen Daten zu behal­ten und so die Offen­le­gung die­ser Daten auf das zu beschrän­ken, was für die Zwecke, für die die­se Daten über­mit­telt und ver­ar­bei­tet wer­den, tat­säch­lich not­wen­dig und erheb­lich ist […].

53 Ein Ver­fah­ren wie das in der vor­ste­hen­den Rand­num­mer beschrie­be­ne könn­te einen gerin­ge­ren Ein­griff in das Recht auf Schutz der Ver­trau­lich­keit der per­so­nen­be­zo­ge­nen Daten der betrof­fe­nen Per­son beinhal­ten und es gleich­zei­tig dem Ver­ant­wort­li­chen ermög­li­chen, das von ihm gel­tend gemach­te berech­tig­te Inter­es­se eben­so wirk­sam wahr­zu­neh­men; dies zu prü­fen ist jedoch Sache des vor­le­gen­den Gerichts […].

Das vor­lie­gen­de Gericht muss sodann die Inter­es­sen­ab­wä­gung durch­füh­ren. Der EuGH nimmt ihr Ergeb­nis nicht vor­weg, gibt aber einen Hin­weis. Inter­es­sant dabei sind zwei Punk­te – das beson­de­re Gewicht der Erwar­tun­gen der Betrof­fe­nen (die man­che Behör­den als objek­ti­ve Fra­ge ver­ste­hen, die nicht ein­fach durch eine Daten­schutz­er­klä­rung beein­flusst wer­den kann) und dass der EuGH mit­be­rück­sich­tigt, ob für ein gefähr­li­ches – wenn auch lega­les – Pro­dukt gewor­ben wer­den soll:

55 Bei der ent­spre­chen­den Abwä­gung hat das vor­le­gen­de Gericht zu prü­fen, ob das in Art. 8 Abs. 1 der Char­ta und in Art. 16 Abs. 1 AEUV ver­an­ker­te Recht der Mit­glie­der von Ten­nis­ver­ei­nen auf Pri­vat­sphä­re hin­sicht­lich der Ver­ar­bei­tung ihrer per­so­nen­be­zo­ge­nen Daten Vor­rang vor dem wirt­schaft­li­chen Inter­es­se eines natio­na­len Ten­nis­ver­bands hat. Hier­bei ist, wie sich aus dem 47. Erwä­gungs­grund der DSGVO ergibt, der Fra­ge beson­de­re Bedeu­tung bei­zu­mes­sen, ob die­se Mit­glie­der zum Zeit­punkt der Erhe­bung ihrer per­so­nen­be­zo­ge­nen Daten zum Zweck des Bei­tritts zu einem Ten­nis­ver­ein ver­nünf­ti­ger­wei­se abse­hen konn­ten, dass die­se Daten gegen Ent­gelt für Wer­be- und Mar­ke­ting­zwecke gegen­über Drit­ten, im vor­lie­gen­den Fall Spon­so­ren des KNLTB, offen­ge­legt werden.

56 Außer­dem wird das vor­le­gen­de Gericht den Umstand zu berück­sich­ti­gen haben, dass die betref­fen­den Daten u. a. an einen Anbie­ter von Glücks- und Kasi­no­spie­len wie die NLO über­mit­telt wer­den, des­sen Wer­be- und Mar­ke­ting­maß­nah­men, auch wenn sie recht­mä­ßig sind, in einem Kon­text statt­fin­den, der ent­ge­gen dem 47. Erwä­gungs­grund der DSGVO nicht durch eine maß­geb­li­che und ange­mes­se­ne Bezie­hung zwi­schen den betrof­fe­nen Per­so­nen und dem Ver­ant­wort­li­chen gekenn­zeich­net zu sein scheint. Außer­dem könn­te sich die Ver­ar­bei­tung sol­cher Daten unter bestimm­ten Umstän­den nach­tei­lig auf die Mit­glie­der der betref­fen­den Ten­nis­ver­ei­ne aus­wir­ken, da sie sie der Gefahr der Ent­wick­lung einer Spiel­sucht aus­set­zen könnten.

Der Sport­ver­band darf sich sicher kei­ne gro­ssen Hoff­nun­gen machen – nach die­sen Hin­wei­sen wird man ihm kaum ein aus­rei­chen­des berech­tig­tes Inters­se zugestehen.