Der EuGH hat mit Urteil vom 27. Febru­ar 2025 (Rs. C‑203/22 i.S. CK gegen Magi­strat der Stadt Wien) prä­zi­siert, wel­che Infor­ma­tio­nen ein Ver­ant­wort­li­cher einer betrof­fe­nen Per­son im Rah­men des Aus­kunfts­rechts nach Art. 15 Abs. 1 lit. h DSGVO über die “invol­vier­te Logik” bei auto­ma­ti­sier­ten Ent­schei­dungs­fin­dun­gen und Pro­fil­ing ertei­len muss. Der Ver­ant­wort­li­che muss im Ergeb­nis alle Anga­ben lie­fern, die der betrof­fe­nen Per­son ein Ver­ständ­nis ermöglichen,

  • wel­che Per­so­nen­da­ten im Rah­men der auto­ma­ti­sier­ten Entscheidungsfindung
  • auf wel­che Art ver­wen­det wurden.

Eine kom­ple­xe mathe­ma­ti­sche For­mel (z.B. ein Algo­rith­mus) genü­gen dafür eben­so wenig wie eine detail­lier­te Beschrei­bung jedes Schritts einer auto­ma­ti­sier­ten Entscheidungsfindung.

Die­ses Urteil betrifft direkt das Aus­kunfts­recht im Zusam­men­hang mit auto­ma­ti­sier­ten Ein­zel­fall­ent­schei­dun­gen. Indi­rekt wirkt es auf das Aus­kunfts­recht ins­ge­samt zurück, weil sei­ne Bedeu­tung als Vor­feld­recht gestärkt wird: Es dient der Aus­übung wei­te­rer Rech­te, wes­halb es die­se Aus­übung ermög­li­chen muss. Das führt zu einer ten­den­zi­ell wei­ten Aus­le­gung des Aus­kunfts­rechts.

Der kon­kre­te Fall betraf die Ver­wei­ge­rung eines Mobil­funk­ver­trags auf­grund einer auto­ma­ti­sier­ten Boni­täts­prü­fung. Dun & Brad­street Austria hat­te es trotz Auf­for­de­rung der öster­rei­chi­schen Daten­schutz­be­hör­de unter­las­sen, aus­sa­ge­kräf­ti­ge Infor­ma­tio­nen über die invol­vier­te Logik der Boni­täts­prü­fung zu über­mit­teln. Das öster­rei­chi­sche Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt kam zum fol­gen­den Ergebnis:

19 Mit Erkennt­nis vom 23. Okto­ber 2019 […] stell­te das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt fest, dass D & B Art. 15 Abs. 1 Buchst. h DSGVO ver­letzt habe, indem sie CK kei­ne aus­sa­ge­kräf­ti­gen Infor­ma­tio­nen über die invol­vier­te Logik der auf der Grund­la­ge der per­so­nen­be­zo­ge­nen Daten von CK erfolg­ten auto­ma­ti­sier­ten Ent­schei­dungs­fin­dung über­mit­telt oder zumin­dest nicht hin­rei­chend begrün­det habe, wes­halb sie nicht in der Lage sei, sol­che Infor­ma­tio­nen zu übermitteln.

20 Das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt stell­te in sei­nem Erkennt­nis ins­be­son­de­re fest, dass die Erläu­te­run­gen von D & B nicht aus­ge­reicht hät­ten, um CK in die Lage zu ver­set­zen, nach­zu­voll­zie­hen, wie die Wahr­schein­lich­keit ihres künf­ti­gen Ver­hal­tens („Score“) pro­gno­sti­ziert wor­den sei. Die­ser Score war CK von D & B mit dem Hin­weis mit­ge­teilt wor­den, dass für sei­ne Ermitt­lung bestimm­te sozio­de­mo­gra­fi­sche Daten von CK „unter­ein­an­der gleich­wer­tig gewich­tet“ wor­den seien.

Der EuGH hält dazu fest:

  • Die “aus­sa­ge­kräf­ti­gen Infor­ma­tio­nen über die invol­vier­te Logik” einer auto­ma­ti­sier­ten Ent­schei­dungs­fin­dung umfas­sen alle mass­geb­li­chen Infor­ma­tio­nen zum Ver­fah­ren und zu den Grund­sät­zen der auto­ma­ti­sier­ten Verarbeitung:

    50 […] die Aus­le­gung […], wonach „aus­sa­ge­kräf­ti­ge Infor­ma­tio­nen über die invol­vier­te Logik“ einer auto­ma­ti­sier­ten Ent­schei­dungs­fin­dung im Sin­ne die­ser Bestim­mung alle maß­geb­li­chen Infor­ma­tio­nen zum Ver­fah­ren und zu den Grund­sät­zen der auto­ma­ti­sier­ten Ver­ar­bei­tung per­so­nen­be­zo­ge­ner Daten zwecks Errei­chen eines bestimm­ten Ergeb­nis­ses umfas­sen und die­se Infor­ma­tio­nen auf­grund des Trans­pa­ren­z­er­for­der­nis­ses außer­dem in prä­zi­ser, trans­pa­ren­ter, ver­ständ­li­cher und leicht zugäng­li­cher Form zu über­mit­teln sind.

  • Die Infor­ma­tio­nen müs­sen der betrof­fe­nen Per­son ermög­li­chen, die wirk­sa­me Aus­übung ihrer Rech­te nach Art. 22 Abs. 3 DSGVO (Dar­le­gung des eige­nen Stand­punkts und Anfech­tung der Ent­schei­dung) zu ermöglichen:

    53 Was kon­kret das in Art. 15 DSGVO vor­ge­se­he­ne Aus­kunfts­recht betrifft, muss es der betrof­fe­nen Per­son nach der Recht­spre­chung des Gerichts­hofs ermög­li­chen, zu über­prü­fen, ob sie betref­fen­de Daten rich­tig sind und ob sie in zuläs­si­ger Wei­se ver­ar­bei­tet werden […].

    […]

    55 Ins­be­son­de­re im spe­zi­el­len Kon­text des Erlas­ses einer Ent­schei­dung, die aus­schließ­lich auf einer auto­ma­ti­sier­ten Ver­ar­bei­tung beruht, bezweckt das Recht der betrof­fe­nen Per­son […] haupt­säch­lich, ihr die wirk­sa­me Aus­übung der ihr nach Art. 22 Abs. 3 DSGVO zuste­hen­den Rech­te zu ermög­li­chen, näm­lich des Rechts auf Dar­le­gung ihres eige­nen Stand­punkts und des Rechts auf Anfech­tung der Ent­schei­dung.

    […]

    58 […] ergibt sich, dass das Recht auf „aus­sa­ge­kräf­ti­ge Infor­ma­tio­nen über die invol­vier­te Logik“ bei einer auto­ma­ti­sier­ten Ent­schei­dungs­fin­dung im Sin­ne die­ser Bestim­mung als ein Recht auf Erläu­te­rung des Ver­fah­rens und der Grund­sät­ze zu ver­ste­hen ist, die bei der auto­ma­ti­sier­ten Ver­ar­bei­tung der per­so­nen­be­zo­ge­nen Daten der betrof­fe­nen Per­son zur Anwen­dung kamen, um auf der Grund­la­ge die­ser Daten zu einem bestimm­ten Ergeb­nis – etwa einem Boni­täts­pro­fil – zu gelangen. […]

  • Weder die blo­sse Über­mitt­lung einer kom­ple­xen mathe­ma­ti­schen For­mel (etwa eines Algo­rith­mus) noch die detail­lier­te Beschrei­bung jedes Schritts einer auto­ma­ti­sier­ten Ent­schei­dungs­fin­dung genü­gen die­sen Anfor­de­run­gen. Die betrof­fe­ne Per­son muss viel­mehr nach­voll­zie­hen kön­nen, wel­che Per­so­nen­da­ten im Rah­men der auto­ma­ti­sier­ten Ent­schei­dungs­fin­dung auf wel­che Art ver­wen­det wurden:

    59 Weder die blo­ße Über­mitt­lung einer kom­ple­xen mathe­ma­ti­schen For­mel (etwa eines Algo­rith­mus), noch die detail­lier­te Beschrei­bung jedes Schritts einer auto­ma­ti­sier­ten Ent­schei­dungs­fin­dung genü­gen die­sen Anfor­de­run­gen, da bei­des kei­ne aus­rei­chend prä­zi­se und ver­ständ­li­che Erläu­te­rung darstellt.

    […]

    61 Die „aus­sa­ge­kräf­ti­gen Infor­ma­tio­nen über die invol­vier­te Logik“ einer auto­ma­ti­sier­ten Ent­schei­dungs­fin­dung […] müs­sen also das Ver­fah­ren und die Grund­sät­ze, die kon­kret zur Anwen­dung kom­men, so beschrei­ben, dass die betrof­fe­ne Per­son nach­voll­zie­hen kann, wel­che ihrer per­so­nen­be­zo­ge­nen Daten im Rah­men der in Rede ste­hen­den auto­ma­ti­sier­ten Ent­schei­dungs­fin­dung auf wel­che Art ver­wen­det wur­den, ohne dass die Kom­ple­xi­tät der im Rah­men einer auto­ma­ti­sier­ten Ent­schei­dungs­fin­dung vor­zu­neh­men­den Arbeits­schrit­te den Ver­ant­wort­li­chen von sei­ner Erläu­te­rungs­pflicht ent­bin­den könnte.

    62 Was kon­kret ein Pro­fil­ing wie das im Aus­gangs­ver­fah­ren in Rede ste­hen­de betrifft, könn­te das vor­le­gen­de Gericht es ins­be­son­de­re als aus­rei­chend trans­pa­rent und nach­voll­zieh­bar erach­ten, die betrof­fe­ne Per­son zu infor­mie­ren, in wel­chem Maße eine Abwei­chung bei den berück­sich­tig­ten per­so­nen­be­zo­ge­nen Daten zu einem ande­ren Ergeb­nis geführt hätte.

  • Wenn Infor­ma­tio­nen Geschäfts­ge­heim­nis­se oder Per­so­nen­da­ten Drit­ter umfas­sen, müs­sen die­se u.U. der Auf­sichts­be­hör­de oder dem zustän­di­gen Gericht über­mit­telt wer­den, die eine Abwä­gung der gegen­über­ste­hen­den Rech­te und Inter­es­sen vor­neh­men müssen:

    73 […] ein natio­na­les Gericht […] der Ansicht sein kann, dass ihm per­so­nen­be­zo­ge­ne Daten von Par­tei­en oder Drit­ten über­mit­telt wer­den müs­sen, damit es […] die betrof­fe­nen Inter­es­sen abwä­gen kann. Die­se Beur­tei­lung kann es gege­be­nen­falls dazu ver­an­las­sen, die voll­stän­di­ge oder teil­wei­se Offen­le­gung der ihm so über­mit­tel­ten per­so­nen­be­zo­ge­nen Daten gegen­über der Gegen­par­tei zuzulassen […].

  • Natio­na­le Bestim­mun­gen wie hier § 4 Abs. 6 DSG-AT, die das Aus­kunfts­recht pau­schal aus­schlie­ssen, wenn die Aus­kunft ein Geschäfts- oder Betriebs­ge­heim­nis gefähr­den wür­de, sind nicht mit Art. 15 DSGVO ver­ein­bar. Eine pau­scha­le Ein­schrän­kung ist unzu­läs­sig, weil die Abwä­gung im Ein­zel­fall erfol­gen muss:

    75 Hin­sicht­lich der Not­wen­dig­keit, dies von Fall zu Fall zu ermit­teln, steht Art. 15 Abs. 1 Buchst. h DSGVO ins­be­son­de­re der Anwen­dung einer Bestim­mung wie § 4 Abs. 6 DSG ent­ge­gen, die das in Art. 15 DSGVO vor­ge­se­he­ne Aus­kunfts­recht der betrof­fe­nen Per­son grund­sätz­lich aus­schließt, wenn die Aus­kunft ein Geschäfts- oder Betriebs­ge­heim­nis des Ver­ant­wort­li­chen oder eines Drit­ten gefähr­den wür­de. Ein Mit­glied­staat kann das Ergeb­nis einer durch das Uni­ons­recht vor­ge­ge­be­nen, auf Ein­zel­fall­ba­sis durch­zu­füh­ren­den Abwä­gung der ein­an­der gegen­über­ste­hen­den Rech­te und Inter­es­sen nicht abschlie­ßend vor­schrei­ben (vgl. in die­sem Sin­ne Urteil vom 7. Dezem­ber 2023, SCHUFA Hol­ding u. a. [Scoring], C‑634/21, EU:C:2023:957, Rn. 70 und die dort ange­führ­te Rechtsprechung).