Das Zürcher Handelsgericht hatte im rechtskräftigen Urteil HG150185‑O vom 15. Mai 2017 über das folgende Rechtsbegehren zu befinden:
1a. Es sei die Beklagte zu verpflichten, sämtliche auf ihrem Server gespeicherten Daten der Klägerin auf einem Datenträger in einem Standardformat an die Klägerin herauszugeben;
1b. Eventualiter sei die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin auf eigene Kosten die Schnittstellen bekannt zu geben, um die Daten für die Klägerin lesbar und übertragbar zu machen;
2. Die Beklagte sei zu verpflichten, diese Daten nach Herausgabe an die Klägerin auf ihrem Server sowie gegebenenfalls auf anderen Datenträgern, auf welche die Beklagte Zugriff hat, umfassend, unwiderruflich und nachweislich (Bestätigung durch SAP-Spezialist) zu löschen;
3. Die Beklagte sei zu verpflichten, der Klägerin mittels Zugriffsprotokollen und/oder anderer Dokumente, welche Zugriffe auf die Daten der Klägerin im G._____-System aufzeigen und gegebenenfalls mittels Beizuges eines SAP-Experten, Rechenschaft über ihre Pflichten hinsichtlich Datenschutzes gemäss Vereinbarung und Datenschutzgesetz abzulegen.
alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen inkl. der gesetzlichen Mehrwertsteuer von 8 % zu Lasten der Beklagten.”
Hintergrund war folgender Sachverhalt:
- Streit zwischen einem Reisebüro (Klägerin) und einem grösseren Schweizer Reiseanbieter (Beklagte);
- das Reisebüro arbeitete während längerer Zeit mit einem auf SAP basierenden Buchungssystem der Beklagten, wobei die von der Klägerin eingegebenen Daten auf den Servern der Beklagten gespeichert wurden.
- Der zugrunde liegende Vertrag wurde 2013 im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs aufgelöst, worauf die Klägerin während einer bestimmten Zeit zwar keine Mutationen mehr vornehmen, aber auf das System und ihre Daten zugreifen konnte. Die Klägerin exportierte darauf die bei der Beklagten gespeicherten strukturierten Daten; in Bezug auf unstrukturierte Daten war der Export in einem Standardformat jedoch nicht möglich.
- Der Vertrag zwischen den Parteien äusserte sich nicht explizit zur Frage der Datenmigration bei Vertragsbeendigung.
Die Klägerin verlangte in der Folge klageweise die Herausgabe und anschliessende Löschung aller Daten, die sie bei der Beklagten gespeichert hatte, und Rechenschaft über den Zugriff auf diese Daten.
Zum Herausgabeanspruch:
Zum Herausgabeanspruch erwog das HGer:
- Ein “Show”-Modus, bei dem gespeicherte Daten lediglich angezeigt werden, ist nicht als Regelung der Datenmigration auszulegen.
- Ein ASP-Vertrag, der sich nicht zur Datenmigration äussert, ist lückenhaft.
- Bei Daten, die wirtschaftlich der Lizenznehmer in zustehen, jedoch im Machtbereich der Anbieterin gespeichert sind, bestehen “insbesondere Parallelen zum Hinterlegungsrecht”, “bei welchem Art. 475 Abs. 1 OR dem Hinterleger einen jederzeitigen zwingenden Rückforderungsanspruch gewährt”. Demnach bestünde aber keine Pflicht der Anbieterin, die Daten auf einem Träger zu speichern und der Lizenznehmer in auszuhändigen, und die Lizenznehmerin hätte die Kosten der Datenherausgabe zu bezahlen. Das Hinterlegungsrecht kann jedoch (ebenso wie mietbeziehungsweise Pachtrecht und Auftragsrecht) nicht ohne weiteres herangezogen werden, weil es sich bei Daten nicht um Sachen handelt.
- Zu ermitteln ist daher der hypothetische Wille redlicher Parteien. Diese hätten eine der beiden folgenden Varianten gewählt: (1) Die Lizenznehmerin ist verpflichtet, ihre Daten selbstständig zu übernehmen, unstrukturierte Daten manuell. (2) Die Anbieterin ist verpflichtet, auch die unstrukturierten Daten in einem Standardformat herauszugeben, hat aber Anspruch auf Kostenersatz für die Transformation und Herausgabe der Daten.
- Im konkreten Fall war davon auszugehen, dass mit so hohen Transformations- und Herausgabekosten zu rechnen war, dass die Parteien die erste Variante gewählt hätten (Datenzugriff, im konkreten – insofern aber kaum verallgemeinerbaren – Fall während dreier Monate; Support durch die Anbieterin):
Zusammenfassend kann damit festgehalten werden, dass die Klägerin aufgrund des ergänzten G._____ Partner Vertrages einen vertraglichen Anspruch darauf hat, ihre Daten bei Vertragsbeendigung auf eigene Kosten selbst zu behändigen. Dazu hat ihr die Beklagte für drei Monate ab Rechtskraft des Urteils die Datenübernahme zu ermöglichen, indem sie ihr auf Kosten der Klägerin entsprechend Zugang zu den Daten gewährt (z.B. im Show Modus; die Informationen müssen direkt elektronisch verarbeitbar sein) und – soweit nötig – Support leistet, dies alles zu den im Zeitpunkt der Vertragsbeendigung gültigen vertraglichen Konditionen und systemtechnischen Gegebenheiten. Ein Recht auf eine Transformation der Daten mit anschliessender Herausgabe auf einem Datenträger steht der Klägerin dagegen nicht zu.
Zum Löschanspruch:
Zum Löschanspruch erwog das HGer:
- Der Vertrag ist in Bezug auf den Löschanspruch nicht lückenhaft, weil seine Auslegung ergibt, dass kein Löschungsanspruch besteht. Dies leitet das HGer ZH daraus ab, dass die Rechte und Pflichten der Parteien im Zusammenhang mit übermittelten Daten auch nach Vertragsbeendigung gelten sollen; es müsse folglich Daten geben, die bei der jeweiligen Gegenpartei verbleiben.
- Datenschutzrechtlich besteht kein Löschanspruch, weil die weitere Speicherung der Daten durch die Anbieterin zumindest vorläufig – bis geklärt ist, ob die Klägerin die Daten behändigen will – nicht widerrechtlich ist.
Zum Anspruch auf Rechenschaft:
Zum Anspruch auf Rechenschaft erwog das HGer:
- Eine vertragliche Grundlage für einen Rechenschaftsanspruch besteht nicht. Art. 400 Abs. 1 OR ist weder direkt noch analog anwendbar. Insbesondere ist der Vertrag diesbezüglich nicht lückenhaft, weil die Parteien im Rahmen der im konkreten Fall als abschliessend zu verstehenden Regelung der Datensicherheit keine Pflicht vereinbart haben, mittels Zugriffsprotokollen oder Berichten oder unter Beizug eines SAP Experten Rechenschaft über den Zugriff auf die Daten abzulegen.
- Auch datenschutzrechtlich ist Rechenschaft nicht geschuldet. Art. 15 DSG sieht keine entsprechende Pflicht vor, und es ist fraglich (kann im konkreten Fall aber offenbleiben), ob Art. 8 DSG (Auskunftsanspruch) einen entsprechenden Anspruch verleiht.