Interpellation Baumann (03.3552): Wer trägt die Kosten der Überwachung des Fernmeldeverkehrs?
07.10.2005: Abgeschrieben, weil seit mehr als zwei Jahren hängig.
Eingereichter Text
Der Bundesrat wird gebeten, folgende Fragen zu beantworten:
1. Ist er der Meinung, dass den Anbieterinnen von Fernmeldediensten (FDA) mindestens die effektiven Kosten, die bei der Fernmeldeüberwachung anfallen, entschädigt werden sollen?
2. Ist er der Meinung, dass damit auch die Kosten der Einrichtungen, welche die FDA als Vorleistung beschaffen, mit den Entschädigungen abzugelten sind?
3. Ist er der Meinung, dass die Kosten der Strafverfolgung, welche die Aufgabe des Staates ist, nicht der Wirtschaft und den privaten Telefonbenutzern auferlegt werden dürfen, weil dies zu einer Subventionierung der Überwachung führen müsste?
4. Ist er der Meinung, dass die heute geltende faktische Verpflichtung, dem Staat Leistungen ohne Entschädigung zu erbringen, die Wirtschaftsfreiheit der Anbieterinnen verletzt?
5. Ist er der Meinung, dass im Fall, dass die Investitionskosten weiterhin nicht abgegolten würden, schliesslich zu einer Belohnung von Ineffizienz führen könnte, weil die Anbieterinnen versucht wären, auf Investitionen zu verzichten und die Leistungen stattdessen mit unwirtschaftlichen Methoden und hohem Arbeitsaufwand zu erbringen?
6. Ist er der Meinung, dass billige Überwachungsmassnahmen für die Behörden zu einer stärkeren Einschränkung der Bürgerfreiheiten führen könnten?
Begründung
- Die Anbieterinnen von FDA sind von Gesetzes wegen (Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs, BÜPF) verpflichtet, die von den zuständigen Behörden angeordneten Überwachungen des Fernmeldeverkehrs durchzuführen.
- Für die Durchführung der zunehmenden und immer aufwendigeren Überwachungsmassnahmen sind aufseiten der Anbieterinnen sehr hohe Investitionen und eine teure Betriebsorganisation (mit Pikettdiensten) erforderlich.
- Artikel 16 BÜPF legt unter dem Titel “Gebühren und Entschädigungen” fest:
1. Die für eine Überwachung notwendigen Einrichtungen gehen zulasten der Anbieterinnen von Post- und Fernmeldediensten. Diese erhalten von der anordnenden Behörde für Aufwendungen eine angemessene Entschädigung für die Kosten der einzelnen Überwachung.
2. Der Bundesrat regelt die Entschädigungen und setzt die Gebühren für die Dienstleistungen des Dienstes fest.
- Die Möglichkeiten der Überwachung sind fast grenzenlos. Die Informationstechnologie macht fast alles möglich. Die Frage ist aber, wer die immensen Kosten trägt. Es sollte das Verursacherprinzip gelten: Wer überwachen will, soll auch die (Preis-)Folgen kennen.
- Die heute aufgrund dieser Regelung für die einzelnen Überwachungsleistungen bezahlten Entschädigungen decken ihre Kosten nicht. Zudem stehen bei vielen Anbieterinnen massive Investitionen an, um die strengen Anforderungen des BÜPF erfüllen zu können. Diese Kosten nehmen zu, je grösser die technologischen Möglichkeiten werden.
- Wenn die Kosten nicht von den Verursachern gedeckt werden, müssen die FDA diese in der Tarifgestaltung für die Privathaushalte und die Wirtschaft berücksichtigen, was zu einer ungerechtfertigten Tarifverzerrung führen müsste.
- Die Strafverfolgungsbehörden kritisieren die “zu hohen Gebühren”, einige ihrer Vertreter fordern provokativ, ihnen sei alles – sofort und kostenlos – zu liefern, schliesslich hätten die Telefonieanbieterinnen ja auch das Telefoniegeschäft.
- Die Regelung über die Gebühren und die Entschädigungen wird in diesem Jahr unter der Federführung des UVEK revidiert. Die Strafverfolgungsbehörden und die FDA werden angehört.
- Die Überwachungsmöglichkeiten mittels technischer Infrastruktur im Fernmeldebereich, aber auch im Bereich der Informationstechnologie sind nahezu grenzenlos. Die Mobiltelefone z. B. lassen sich nicht nur abhören, sondern es lässt sich sehr genau feststellen, von wo aus telefoniert wurde. Eine praktisch nahtlose Überwachung des Einzelnen ist technisch lösbar:
- Dies ist ein Novum und ein Effekt der rasanten technologischen Entwicklung, insbesondere des Internets. Via Vernetzung von Datenbanken, der Installation hochmoderner Computer und Softwareprogramme wird der gläserne Mensch zur Realität. Die positiven Resultate, die in der Verbrechensbekämpfung erzielt werden, sind zahlreich. Nicht zuletzt sind die Verhaftungen zahlreicher Internetnutzer aufgrund der Aufzeichnung ihrer Internetabfragen ein beredtes Zeugnis dieser Möglichkeiten. Dennoch stellt sich immer mehr auch die Frage nach der Verhältnismässigkeit.
- Die derzeit noch geltende Entschädigungsregelung setzt den zur Überwachung berechtigten Behörden praktisch keinerlei finanzielle Grenzen. Bei genauer Betrachtung muss man feststellen, dass so einer nahezu grenzenlosen Überwachung Tür und Tor geöffnet wird: Bei laufend vielseitiger werdenden Möglichkeiten für die Überwachung nehmen die Anforderungen und Anfragen der Behörden gegenüber den Anbieterinnen zu. Dadurch steigen auch die Kosten für die Anbieterinnen und letztlich für die Kunden. Ungeachtet des Technologiewandels sind aber derzeit noch die gleichen Entschädigungen wie vor fünf Jahren bewilligt. Die Folge ist die Vornahme unverhältnismässig vieler und ausgedehnter Überwachungsmassnahmen zu einem unverhältnismässig tiefen Preis.
- Um die latente Gefahr einer übermässigen Überwachung der Bürger dieses Landes mittels elektronischer Hilfsmittel gar nicht aufkommen zu lassen, muss etwas unternommen werden. Heute beziehen die Strafuntersuchungsbehörden Überwachungsleistungen zu unrealistisch tiefen Preisen. Dies fördert eine uneingeschränkte Überwachung. Es gibt eine einfache Lösung dagegen: das Verursacherprinzip. Wer eine Leistung fordert, der soll auch die Kosten dafür tragen! Nur auf diesem Weg werden die Begehrlichkeiten der Behörden eingeschränkt, und die Privatsphäre des Bürgers bleibt geschützt. Gleichzeitig wird transparent, wie aufwendig der Einsatz moderner Technologie ist. Und schliesslich wird die Diskussion über die Verhältnismässigkeit mit den richtigen Relationen geführt.
Stellungnahme des Bundesrats
Der Gesetzgeber hat die Grundsätze der Entschädigungsregelung im Bundesgesetz über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs vom 6. Oktober 2000 geregelt (BÜPF; SR 780.1). Nach dessen Artikel 16 Absatz 1 gehen die für die Überwachung notwendigen Einrichtungen zulasten der Fernmeldedienstanbieterin (FDA). Für die Aufwendungen erhält sie von den anordnenden Behörden eine angemessene Entschädigung für die Kosten der einzelnen Überwachung. Die Regelung der Einzelheiten ist Sache des Bundesrates (Abs. 2).
Der Bundesrat hat am 7. April 2004 die neue Verordnung über die Gebühren und Entschädigungen im Bereich der Fernmeldeüberwachung gutgeheissen und auf den 1. Mai 2004 in Kraft gesetzt. Die Gebührenverordnung hält sich an die vorerwähnten Vorgaben. Die Basis bildet die Kostenstruktur der FDA, die in Zusammenarbeit mit einer repräsentativen Gruppe von FDA (grosse, mittlere und kleine Anbieterinnen von Telefon- und/oder Internetdiensten) von einem externen, unabhängigen Beratungsinstitut erhoben wurden. Gestützt darauf wurde ein durchschnittlicher Aufwand für bestimmte Überwachungsmassnahmen, die in Gesetz und Verordnung abschliessend geregelt sind, ermittelt.
1. Die Entschädigung der vollen Kosten der FDA widerspricht der heute gültigen gesetzlichen Regelung. Hätte der Gesetzgeber die Absicht gehabt, die volle Vergütung der Kosten der FDA vorzusehen, hätte er eine entsprechende Formulierung in Artikel 16 gewählt. Durch die Wahl des Begriffes “angemessene Entschädigung” hat er bewusst auf eine volle Entschädigung verzichtet.
Der Begriff der “Angemessenheit” (einer Geldleistung) kommt in verschiedenen Rechtsgebieten vor (das Familienrecht in Bezug auf den Unterhalt der Ehefrau nach der Scheidung; die berufliche Vorsorge in Bezug auf die Höhe der Rentenleistungen usw.). Für die Bestimmung der angemessenen Leistung sind alle massgebenden Umstände zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall sind dabei insbesondere das öffentliche Interesse am Einsatz von Fernmeldeüberwachungsmassnahmen für die Strafverfolgung sowie das wirtschaftliche Interesse der Anbieterinnen, unterschiedlichste Dienstleistungen im Bereich der Telekommunikation anzubieten, massgebend. Zu berücksichtigen ist ausserdem die Kostenstruktur der Anbieterinnen. Allerdings ist darauf zu achten, dass das Instrument der Fernmeldeüberwachung nicht als Folge von organisatorischen, technischen oder finanziellen Hindernissen faktisch seiner Bedeutung beraubt wird.
2. Die gesetzliche Regelung hält klar fest, dass die Kosten der Einrichtungen zulasten der Anbieterinnen von Fernmeldediensten gehen. Die Basis für die Abgeltung der Kosten einer einzelnen Überwachungsmassnahme können daher nur die Betriebskosten sein. Gesamthaft wurden den FDA für das Jahr 2002 etwa 10 Millionen Franken für ihre Dienstleistungen im Zusammenhang mit den Überwachungsmassnahmen und den Auskünften über Fernmeldeanschlüsse überwiesen.
3. Die Strafverfolgung ist eine gesetzlich geregelte Aufgabe des Staates, und mit den vom Interpellanten erwähnten Überwachungsmassnahmen wird die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden unterstützt. Der Staat trägt grundsätzlich auch die Kosten der Überwachungsmassnahmen. Mit der Freiheit der FDA, immer neue und immer attraktivere Dienstleistungen im Bereich der Telekommunikation anzubieten, wächst auch der personelle und finanzielle Aufwand der Strafverfolgungsbehörden, die verschiedenen Arten der Kommunikation zu überwachen. Deshalb schliesst der Umstand, dass die Strafverfolgung eine staatliche Aufgabe ist, nicht aus, dass Wirtschaftssubjekte indirekt einen Teil dieser Kosten mittragen.
Die Übernahme von Pflichten im Rahmen von Strafverfolgungsverfahren, ohne dass diese vollumfänglich abgegolten würden, gilt im Übrigen auch für die Bürgerinnen und die Bürger. Beispielsweise wird ihnen für Auftritte als Zeuge das so genannte “Zeugengeld” ausbezahlt. Es wird nicht nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ermittelt und deckt deshalb in der Regel die effektiven Kosten nicht (Arbeitsausfall, Reisezeit usw.). Entweder ist es der Zeuge oder die Zeugin selbst, die diese Kosten indirekt trägt, oder dessen bzw. deren Arbeitgeber. Ein weiteres Beispiel sind die von den Strafverfolgungsbehörden in einem konkreten Strafverfahren verlangten Kontoauszüge der Bank eines Angeschuldigten: sie werden von den Banken ebenfalls kostenlos geliefert.
4. Die Verpflichtung der FDA, gegen angemessene Entschädigung Dienstleistungen zugunsten der Strafverfolgungsbehörden zu erbringen, bedeutet keinen unzulässigen Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit der FDA. Zum einen sind alle in der Schweiz tätigen FDA in gleichem Mass der Pflicht unterworfen, zum anderen genügt die öffentlich-rechtliche Pflicht, den Fernmeldeverkehr zu überwachen, den Anforderungen von Artikel 36 der Bundesverfassung betreffend Einschränkungen von Grundrechten. Die Pflicht zur Überwachung des Fernmeldeverkehrs beruht auf einer formellgesetzlichen Grundlage (Art. 15 BÜPF), liegt im öffentlichen Interesse (insbesondere Strafverfolgung) und ist verhältnismässig. Für eine Pflicht des Staates zur vollen Entschädigung für Eingriffe in die Wirtschaftsfreiheit gibt es – anders als bei Eingriffen in die Eigentumsgarantie – keine verfassungsrechtliche Grundlage. Von einem Verstoss gegen die Wirtschaftsfreiheit kann damit nicht gesprochen werden.
5. Wie unter Ziffer 1 ausgeführt, richtet sich die Höhe der Entschädigung an die FDA für eine einzelne Überwachungsmassnahme nach verschiedenen Kriterien, u. a. der Kostenstruktur der FDA. Verzichtet nun eine FDA auf Investitionen, muss sie personalintensiver arbeiten, entsprechend sinkt der Deckungsgrad der Betriebskosten im Einzelfall. Investiert sie, kann sie die Betriebskosten senken, und erhält eine bessere Kostendeckung. Hinzu kommt, dass das UVEK in Zusammenarbeit mit den FDA gestützt auf Artikel 33 der Verordnung über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs vom 31. Oktober 2001 (VÜPF; SR 780.11) technische und administrative Richtlinien erlassen hat. Diese legen die administrativen Abläufe im Verkehr zwischen den FDA und dem Dienst für Besondere Aufgaben (DBA) fest und bestimmen die technischen Schnittstellen (z. B. Konfiguration der Daten) zwischen dem System des DBA und denjenigen der FDA. Damit sind aber auch gewisse Vorgaben bezüglich der erforderlichen Investitionen durch die FDA festgelegt.
6. Die Zulässigkeit und der Umfang von Überwachungsmassnahmen im Fernmeldeverkehr richten sich einerseits nach dem bereits erwähnten Bundesgesetz über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs bzw. dessen Ausführungsverordnung, und andererseits nach den kantonalen oder eidgenössischen Strafprozessordnungen. Der mit einer Überwachungsmassnahme erreichte spezifische Zweck kann nicht einfach mit einem anderen technischen Instrument erreicht werden. Dort, wo die Notwendigkeit einer Überwachungsmassnahme gegeben ist und auch die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, ist dieses Vorgehen im Rahmen von Ermittlungen auch der einzig erfolgversprechende Weg. Die Ausgestaltung der Gebührenordnung hat sich demnach nach den gesetzlichen Vorgaben zu richten und soll weder den Überwachungsmassnahmen Tür und Tor öffnen noch die erforderlichen Massnahmen an prohibitiven Kosten scheitern lassen. Anhand der Statistiken der letzten Jahre lässt sich jedenfalls die vom Interpellanten befürchtete Tendenz nicht belegen.