Interpellation Malama (11.3471): Überwachung im privaten Raum. Datenschutz und Sicherheit verknüpfen
Erledigt (30.0.2011)
Eingereichter Text
Mit Beschluss vom 27. November 2009 hat der Bundesrat das VBS beauftragt, dem Bundesrat bis spätestens Ende 2013 eine Botschaft für ein umfassendes ziviles Nachrichtendienstgesetz vorzulegen. Bei der Ausarbeitung dieses Gesetzes muss eine Güterabwägung zwischen unseren Sicherheitsinteressen und dem Schutz der Privatsphäre von uns Bürgerinnen und Bürgern stattfinden. Letzterer wird traditionellerweise stark gewichtet. So lässt das Gesetz heute kaum Spielraum, um im Interesse der Sicherheit beispielsweise eine präventive Überwachungsmassnahme auf privatem Grund und Boden durchzuführen. Dies ist nur den Strafverfolgungsbehörden aufgrund einer richterlichen Verfügung zur Aufklärung eines konkreten schweren Tatverdachts möglich. In Anbetracht der sich verschärfenden Gefahren und zunehmenden Risiken, die von Terrorismus, Spionage und Proliferation ausgehen, muss die heutige Gewichtung zwischen Sicherheit und Privatsphäre zumindest überdacht werden. Angesichts der veränderten Bedrohungsformen sollte geprüft werden, wie der Nachrichtendienst des Bundes – unter restriktiven Bedingungen – nicht nur auf öffentlichem Grund und Boden, sondern auch im privaten Raum Erkenntnisse beschaffen könnte. In diesem Sinne bitte ich den Bundesrat um Beantwortung der folgenden Fragen:
1. Trifft es zu, dass das Verbot von präventiver staatlicher Überwachung im privaten Raum die Lokalisierung von Gefahrenquellen durch die Sicherheitsbehörden erschwert?
2. Könnten präventive Informationsbeschaffungen im privaten Raum durch den Nachrichtendienst des Bundes in den Bereichen der Terrorismusbekämpfung, der Spionageabwehr und der Unterbindung der Proliferation substanzielle Erkenntnisgewinne bringen und damit mehr Sicherheit schaffen?
3. Teilt er die Ansicht, dass die Schweiz wie andere europäische Staaten die präventive nachrichtendienstliche Informationsbeschaffung im privaten Raum grundrechtskonform regeln kann, wenn die vorgängige Genehmigung solcher Massnahmen durch eine Spezialkommission den Schutz der Privatsphäre ausreichend garantiert?
4. Könnte der Bundesrat im Auftrag der zuständigen Kommission solche Bestimmungen zur restriktiven, aber der Bedrohungslage angemessenen gesetzlichen Regelung präventiver nachrichtendienstlicher Informationsbeschaffung im privaten Raum bei der laufenden BWIS-II-Revision noch nachliefern?
Chronologie
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h1>Stellungnahme des Bundesrats
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Der Bundesrat beantwortet die vom Interpellanten gestellten Fragen wie folgt:
1. Es trifft zu, dass das heutige Instrumentarium, das dem Nachrichtendienst des Bundes für die Beschaffung von Informationen zur Verfügung steht, nur eine beschränkte Früherkennung und Lagebeurteilung ermöglicht. Die frühzeitige Lokalisierung von Gefahrenquellen wird somit erschwert, wie auch in der Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit vom 15. Juni 2007 (BBl 2007 5037; nachfolgend BWIS II) ausgeführt wird.
2. Die heutige Gefährdungslage, die von den Bereichen Terrorismus, Proliferation und Spionageabwehr ausgeht, erfordert nach Auffassung des Bundesrates die Einführung von besonderen Mitteln der Informationsbeschaffung, u. a. die grundrechtskonforme Einführung der (präventiven) Informationsbeschaffung in privaten Räumen. Damit würde eine wichtige Lücke im präventiven Abwehrdispositiv des Bundes geschlossen.
3. Ja. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass Informationsbeschaffungen in privaten Räumen grundrechtskonform ausgestaltet werden können bzw. müssen. Solche Massnahmen stellen allerdings einen schweren Eingriff in die Grundrechte dar. Einschränkungen von Grundrechten müssen durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein und müssen zudem dem Gebot der Verhältnismässigkeit genügen (Art. 36 Abs. 2 und 3 BV). Der Kerngehalt der Grundrechte ist bei jedem Eingriff unantastbar (Art. 36 Abs. 4 BV). Eine unabhängige Instanz wäre das adäquate Gremium, um einen solchen Eingriff zu genehmigen. Die Einführung der Observation von verdächtigen Personen in privaten Räumlichkeiten und von weiteren besonderen Mitteln der Informationsbeschaffung wird im Übrigen auch im Rahmen des neuen Nachrichtendienstgesetzes geprüft, welches im Verlauf der kommenden Legislatur dem Parlament unterbreitet werden soll.
4. Grundsätzlich wäre das Einbringen eines solchen Vorschlags in die laufende parlamentarische Beratung der Zusatzbotschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit vom 27. Oktober 2010 (“BWIS II reduziert”, BBl 2010 7841) möglich. Es ist aber zu berücksichtigen, dass das Parlament im Frühjahr 2009 die ursprüngliche Vorlage BWIS II zurückgewiesen hat, was insbesondere im Zusammenhang mit der vom Bundesrat vorgeschlagenen Einführung von besonderen Mitteln der Informationsbeschaffung (darunter das Beobachten an nicht allgemein zugänglichen Orten) geschehen ist. Der Bundesrat hat in der Folge eine Staffelung der Gesetzgebungsarbeiten beschlossen (Bundesratsbeschluss vom 27. November 2009): In einer ersten Vorlage sollen die mehrheitlich unbestrittenen und entscheidreifen Anliegen realisiert werden. Dieser Teil des Konzepts wurde inzwischen durch die Zusatzbotschaft “BWIS II reduziert” realisiert. Der ersten soll sodann eine zweite, gesamtheitliche Vorlage (Nachrichtendienstgesetz) folgen, die auch die besonderen Mittel der Informationsbeschaffung umfasst. Die Einführung der präventiven Informationsbeschaffung in privaten Räumen im Rahmen der laufenden Behandlung von “BWIS II reduziert” würde eine Grundsatzdebatte auslösen, die den vorgesehenen Rahmen dieser Vorlage sprengen und die Verabschiedung dieses Gesetzes verzögern würde. Der Bundesrat spricht sich aus diesen Gründen gegen den Einbezug des Anliegens des Interpellanten in die laufende Revision “BWIS II reduziert” aus.