- Der Bundesrat erkennt rechtliche Grundlagen für die Gesichtserkennung im Strafverfahren und Ermittlungen an.
- Erforderlich ist eine Spezialgesetzgebung aufgrund des Datenschutzgesetzes, um den Einsatz der Technologie zu regeln.
- Das geltende Recht erlaubt keinen verdachtsunabhängigen Einsatz der Gesichtserkennung, sondern lediglich Gesichtsbildabgleiche.
- Art. 260 und folgende der Strafprozessordnung regeln die Nutzung von erkennungsdienstlichen Daten im Strafverfahren.
- Aktuell sind keine Gesetzesprojekte auf Bundesebene zur Erweiterung der Gesichtserkennung geplant.
Eingereichter Text
Der Bundesrat schreibt in seiner Antwort auf eine Frage von Maja Riniker (21.7896), dass die rechtlichen Grundlagen gegeben sind, um Gesichtserkennung im Strafverfahren und in Ermittlungen einzusetzen. Gleichzeitig schreibt er auch, dass es für die Gesichtserkennung, welche eine eindeutige Identifizierung der Person ermöglicht, aufgrund des Datenschutzgesetzes eine Spezialgesetzgebung nötig ist. In diesem Zusammenhang bitte ich um die Beantwortung folgender Fragen:
1. Wo in der Strafprozessordnung sind die rechtlichen Grundlagen für den automatisierten Einsatz von Gesichtserkennungstechnologie im Strafverfahren, d.h. in Ermittlungen verankert? Oder bezieht sich der Verweis auf die rechtlichen Grundlagen auf andere Gesetze?
2. Sind die Gesetzesgrundlagen aus Sicht des Bundesrats ausreichend bestimmt, um den Kantonspolizeien diese Art von Analyse biometrischer Daten zu ermöglichen? Welche Anwendungsbereiche sind durch das heutige Recht erfasst?
3. Steht der Verweis auf die durch das Datenschutzgesetz erforderliche Spezialgesetzgebung nicht im Widerspruch zur Aussage, dass die rechtlichen Grundlagen für den Einsatz im Strafverfahren und bei Ermittlungen gegeben sind? Wäre nicht auch im Strafprozessrecht eine explizite Rechtsgrundlage gefordert?
4. Sind solche Spezialgesetzgebungen für einen weiteren Einsatz von Gesichtserkennung geplant? Wenn ja, welche und für welche Anwendungsfälle?
Stellungnahme des Bundesrats vom 16.11.22
Wie in der Antwort des Bundesrates auf eine Frage von Maja Riniker (21.7896) festgehalten, handelt es sich bei der Gesichtserkennung um eine Bearbeitung besonders schützenswerter Personendaten. Besonders schützenswerte Personendaten dürfen grundsätzlich nur bearbeitet werden, wenn ein Gesetz im formellen Sinne dies ausdrücklich vorsieht. In Strafverfahren sind hier insbesondere Art. 260 und folgende der Strafprozessordnung (StPO; SR 312.0) für die Erfassung erkennungsdienstlicher Daten, Art. 354 Abs. 1 des Schweizerischen Strafgesetzbuches (StGB; SR 311.0) für deren Speicherung und Art. 14 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die polizeilichen Informationssysteme (BPI; SR 361) hinsichtlich der Verknüpfung zwischen Datensätzen als einschlägige Gesetzesgrundlagen zu nennen. Diese Normen bieten jedoch keine gesetzliche Grundlage für einen verdachtsunabhängigen Einsatz der Gesichtserkennung.
Fotografien sind gemäss Art. 2 der Verordnung über die Bearbeitung biometrischer erkennungsdienstlicher Daten (sog. ED-Verordnung; SR 361.3) als biometrische erkennungsdienstliche Daten definiert und fallen als solche in dieselbe Kategorie wie Finger‑, Handflächen- und Handkantenabdrücke oder auch Signalemente. Folglich dürfen Gesichtsbilder unter den gleichen Voraussetzungen und von denselben Quellen erhoben werden wie Finger‑, Handflächen- und Handkantenabdrücke. Auch die anschliessende Verwendung der Gesichtsbilder basiert auf denselben rechtlichen Vorschriften wie Finger‑, Handflächen- und Handkantenabdrücke. Das bedeutet, dass unter den geltenden gesetzlichen Grundlagen keine Gesichtserkennung in Echtzeit, also z.B. fortlaufend ab dem Livebild einer Überwachungskamera im öffentlichen Raum, vorgenommen werden darf. Möglich sind dagegen sogenannte Gesichtsbildabgleiche, bei denen Einzelbilder als “Bildspur” mit Gesichtsbildern, die bei einer erkennungsdienstlichen Behandlung erhoben wurden und im automatisierten Fingerabdruck-Identifikations-System (AFIS) vorhanden sind, verglichen werden. Dieses zur Abgrenzung vom allgemeinen Begriff Gesichtserkennung als “Gesichtsbildabgleich” bezeichnete Verfahren kann manuell oder automatisiert durchgeführt werden – ganz in Analogie zur Verarbeitung von Finger‑, Handflächen- und Handkantenabdrücken.
Es ist daher wichtig, die Begriffe “Gesichtsbildabgleich” und “Gesichtsbilderkennung” nicht zu vermischen.
1./2. Die Verwendung von erkennungsdienstlichen Daten in Strafverfahren ist in Art. 260 und folgende der Strafprozessordnung geregelt. Gemäss Art. 354 Abs. 1 des Schweizerischen Strafgesetzbuches registriert und speichert das zuständige Departement erkennungsdienstliche Daten, die von Behörden der Kantone, des Bundes und des Auslandes bei Strafverfolgungen oder bei Erfüllung anderer gesetzlicher Aufgaben erhoben und ihm übermittelt worden sind. Diese Daten können zur Identifizierung einer gesuchten oder unbekannten Person miteinander verglichen werden. Diese Bestimmung bildet die gesetzliche Grundlage für das Informationssystem AFIS und insbesondere die Registratur, die Speicherung und den Abgleich biometrischer erkennungsdienstlicher Daten.
Der Datenabgleich darf allein zum Zweck der Identifizierung einer gesuchten oder unbekannten Person sowie zur Auswertung von Tatortspuren erfolgen. Der gesetzliche Begriff der biometrischen erkennungsdienstlichen Daten schliesst, wie in der Vorbemerkung erwähnt, ausser daktyloskopischen Daten und Spuren sowie Signalementen explizit auch Fotografien mit ein. Das ergibt sich zunächst aus Art. 354 Abs. 4 StGB i.V.m. Art. 2 Bst. c der ED-Verordnung, welche die Fotografien im abschliessenden Katalog der zu regelnden biometrischen erkennungsdienstlichen Daten nach dieser Verordnung aufführt. Dass fedpol Fotografien in seinem Informationssystem bearbeiten kann, ergibt sich zusätzlich aus Art. 14 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die polizeilichen Informationssysteme, der die erkennungsdienstlichen Fotografien explizit als Datenkategorie aufführt (Art. 14 Abs. 2 BPI). Die Kantone dürfen fedpol biometrische erkennungsdienstliche Daten gemäss Art. 354 Abs. 2 lit. d StGB zum Abgleich liefern.
3. Nein, es besteht kein Widerspruch zur heutigen Rechtslage. Wie oben ausgeführt, ist nicht vorgesehen, Gesichtsbilderkennung vorzunehmen, sondern ausschliesslich Gesichtsbildabgleich zur Identifizierung von gesuchten oder unbekannten Personen sowie zur Auswertung von Tatortspuren. Die geltenden (formell- und materiellgesetzlichen) Bestimmungen dafür genügen und entsprechen jenen, die auch für die Speicherung und den Abgleich von Finger- und Handballenabdrücken gelten. Hingegen wären für die Einführung von Gesichtserkennung in einem anderen Bereich oder zu einem anderen Zweck, wie z.B. zum verdachtsunabhängigen Einsatz der Gesichtserkennung, eine spezielle formell-gesetzliche Grundlage erforderlich.
4. Nein, es sind zum heutigen Zeitpunkt auf Bundesebene keine Gesetzgebungsprojekte in diesem Bereich geplant.