Interpellation Marti (25.3199): KI-Regulierung. Droht die Abschwächung der Abschwächung?
Eingereichter Text
Der Bundesrat hat am 12. Februar eine Auslegeordnung zur KI-Regulierung verabschiedet und dabei einige Eckpunkte festgelegt. So plant er die Europaratskonvention zu ratifizieren und per Ende 2026 eine Vernehmlassungsvorlage vorzulegen. In diesem Zusammenhang bitte ich den Bundesrat um die Beantwortung folgender Fragen:
1. Die Europaratskonvention ist in der minimalen Umsetzung nur für staatliche Akteure verbindlich. In einem Artikel der Republik wurden seitens zivilgesellschaftlicher Organisationen der Vorwurf erhoben, die Europaratskonvention sei unter dem Druck der USA abgeschwächt worden und die Schweiz habe zu dieser Verwässerung beigetragen. Wie steht der Bundesrat zu diesem Vorwurf? Wie sinnvoll war dies angesichts des Risikos, dass die USA diese Konvention nicht verbindlich ratifizieren würde?
2. Setzt der Bundesrat nur auf eine minimale Umsetzung der Europaratskonvention oder wird er eine weitergehende Lösung suchen, die auch die privaten Akteure in die Pflicht nimmt?
3. Warum priorisiert der Bundesrat in seiner Auslegeordnung und seiner Medienmitteilung die Innovationsförderung und die positiven Effekte für Wirtschaft anstatt die Menschenrechte oder Bedeutung von KI für eine nachhaltige, klimagerechte Gesellschaft?
4. Der Bundesrat hat zudem angekündigt, den EU AI Act nicht zu übernehmen. In der Europaratskonvention ist das Verbot sowie die Regulierung gewisser Hochrisikoanwendungen nicht verbindlich vorgesehen, im EU AI Act schon. Ist der Bundesrat der Meinung, dass es nicht nötig sei, explizit gewisse Anwendungen (z.B. Social Scoring) zu verbieten und riskante und heikle Anwendungen (z.B. bei der Nutzung geschützter Personendaten) zu regulieren und damit für eine Produktesicherheit zu sorgen?
5. Warum sieht der Bundesrat generell zu Regulierung bezüglich Produktesicherheit und ‑haftung ab?
6. Warum ist keine Regelung im Bereich der Verwendung von Trainingsdaten für KI-Anwendungen vorgesehen, zumal sich die schweizerische Urheberrechtsgesetzgebung von der amerikanischen und der europäischen unterscheidet?
7. Inwieweit ist die Rechtssicherheit für Schweizer Unternehmen, die europäisch tätig sind, gegeben, wenn die Schweiz nicht europäisches Recht übernimmt?
8. Warum soll bis Ende 2026 abgewartet werden, bis eine Vorlage ausgearbeitet wird?
9. Weshalb spielen Nachhaltigkeitserwägungen im Eckwertpapier keine Rolle?
Stellungnahme des Bundesrats vom 14.5.2025
1. Die Schweiz hat sich aktiv an den Verhandlungen der KI-Konvention des Europarats beteiligt. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die Ziele des Verhandlungsmandats vom 16. September 2022 erreicht wurden, insbesondere die Harmonisierung des internationalen Rechtsrahmens im Bereich der KI. Die KI-Konvention ist ein Rahmenabkommen, das sich an die Vertragsstaaten richtet. Seine Bestimmungen sind nicht direkt anwendbar. Dennoch sind private Akteure gemäss Art. 3, Abs. 1, Bst. b der KI-Konvention betroffen. Demnach sind Staaten verpflichtet, in Übereinstimmung mit dem Ziel und dem Zweck der Konvention die Risiken und Auswirkungen anzugehen, die sich aus den Tätigkeiten innerhalb des ganzen Lebenszyklus der im privaten Sektor verwendeten KI-Systeme ergeben. Ziel dieser Formulierung war, den Besonderheiten verschiedener Rechtssysteme – insbesondere auch von Staaten ausserhalb Europas – im Bereich des Grundrechtsschutzes angemessen Rechnung zu tragen und somit die Ratifikation der Konvention einem breiteren Kreis von Staaten zu ermöglichen. Solche Besonderheiten sind auch für die Schweiz relevant. Die Schweiz hat diese Konvention am 27. März 2025 unterzeichnet, wie es bis jetzt die Europäische Union und 13 weitere Staaten, inklusive Kanada und Japan getan haben.
2. Gemäss der KI-Konvention besteht für die Regulierung des privaten Sektors ein grösserer Spielraum als für den öffentlichen Sektor, aber es müssen dennoch angemessene Massnahmen ergriffen werden, um die Ziele des Übereinkommens zu erreichen. Der Bundesrat hat bei seiner Entscheidung darauf hingewiesen, dass die Regelungen in erster Linie die staatlichen Akteure betreffen werden, dass aber private Akteure wo nötig auch in die Pflicht genommen werden, wo Grundrechte potenziell betroffen sind.
3. Die Auslegeordnung zählt mehrere, gleichwertige Ziele auf, die mit dem gewählten Ansatz erreicht werden sollen. Darunter wird auch die Wahrung des Grundrechtsschutzes explizit erwähnt. Zur Nachhaltigkeit, vgl. Antwort zu Frage 9.
4. Der von der Schweiz gewählte Ansatz erlaubt es, spezifische Massnahmen zur Gewährleistung der Produktsicherheit zu prüfen und gegebenenfalls umzusetzen. Dazu gehört auch die Möglichkeit, den Risiken besonders risikoreicher Anwendungen angemessen – und falls nötig durch ein Verbot bestimmter Praktiken – zu begegnen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es jedoch verfrüht, konkrete Massnahmen zu benennen.
5. Der Bundesrat hat sich gegen eine Umsetzung der KI-Konvention in Anlehnung an den AI Act entschieden und ist daher gegen die Einführung einer horizontalen Gesetzgebung, die ausschliesslich auf die Produktesicherheit von KI-Systemen ausgerichtet ist. Der gewählte Ansatz schliesst aber nicht aus, dass sektorspezifische technische Produktvorschriften erlassen werden oder den Besonderheiten von KI-Systemen in allfälligen künftigen Revisionen von bestehenden Spezialgesetzen Rechnung getragen wird.
6. Der Bundesrat schliesst Vorgaben zur Verwendung von Trainingsdaten für KI-Systeme nicht aus. Dieses Thema fällt jedoch nicht direkt in den Anwendungsbereich der KI-Konvention. Der Umgang mit urheberrechtlich geschützten Inhalten in Trainingsdaten wird deshalb im Rahmen separater Arbeiten geprüft, parallel zur Ausarbeitung der für Ende 2026 vorgesehenen Vernehmlassungsvorlage. In diesem Zusammenhang weist der Bundesrat darauf hin, dass er die Annahme der Motion Gössi 24.4596 «Besserer Schutz des geistigen Eigentums vor KI-Missbrauch» beantragt hat, welche eine vertiefe Auseinandersetzung mit dieser Thematik verlangt.
7. Schweizer Unternehmen, die Produkte mit KI-Bestandteilen auf den EU-Binnenmarkt bringen oder KI-Systeme betreiben, deren Ergebnisse in der EU genutzt werden, müssen die Vorgaben des AI Acts einhalten. Um den Zugang zum EU-Binnenmarkt zu erleichtern wären zwei Schritte nötig: Erstens die Einführung gleichwertiger Regeln im schweizerischen Recht, und zweitens, eine Anpassung des Abkommens Schweiz – EU über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen (Mutual Recognition Agreement, MRA; SR 0.946.526.81). Eine Übernahme des AI Acts durch die Schweiz allein würde keinen erleichterten Marktzugang gewährleisten.8. Die Fristen wurden entsprechend der Zeit geschätzt, die für die Ausarbeitung eines Vorentwurfs für ein Gesetz dieser Grössenordnung erforderlich ist. Zudem werden für diese Vorlage eine Regulierungsfolgenabschätzung (RFA) und gegebenenfalls auch eine Datenschutz-Folgenabschätzung (DSFA) durchgeführt werden.
9. Fragen zur Nachhaltigkeit wurden zwar nicht in die Auslegeordnung aufgenommen, der Bundesrat hat sich jedoch dafür ausgesprochen, diese Aspekte in separaten Arbeiten zu vertiefen. Insbesondere hat er die Annahme des Po. Fivaz 24.4679 «Stellt der Stromverbrauch der künstlichen Intelligenz eine Gefahr für die Energiestrategie 2050 dar?» beantragt.