- Inkassofirmen verlangen überhöhte Gebühren und verwenden aggressive Methoden, die oft zu massiven Beschwerden führen, wie vom Konsumentenschutzverband festgestellt.
- Der Bundesrat hat keine dringenen gesetzlichen Änderungen zur Reglementierung der Inkassopraktiken für nötig erachtet, trotz bestehender Probleme.
- Ausländische Verkehrsbussen können in der Schweiz kaum eingetrieben werden und könnten rechtlich problematische Praktiken darstellt, die Nötigung zur Folge haben.
Interpellation Michaud Gigon (21.3551): Den Praktiken von Inkassofirmen Grenzen setzen
Eingereichter Text
Mit seinem Postulat 12.3641 forderte Ständerat Raphaël Comte Rahmenbedingungen für die Praktiken von Inkassounternehmen. In seinem Bericht in Erfüllung des Postulats kam der Bundesrat zum Schluss, es sei an den Gerichten, über die Höhe der den Schuldnerinnen und Schuldnern überbundenen Kosten zu befinden.
Fast zehn Jahre später bestehen die damals aufgeworfenen Probleme weiterhin und in wachsender Zahl. Der Westschweizer Konsumentenschutzverband (Fédération romande des consommateurs) stellt eine massive Zunahme an Beschwerden (im Jahr 2020 durchschnittlich eine pro Tag) im Zusammenhang mit Inkassofirmen fest. Diese verlangen fast schon systematisch exorbitante Gebühren; sie stützen sich dabei auf Artikel 106 OR, belegen aber den angeblichen und in Rechnung gestellten Schaden nicht.
Die zusätzlich verlangten Bearbeitungsgebühren erhöhen die Rechnung noch mehr und stehen in keinem Verhältnis zum geleisteten Bearbeitungsaufwand. Die vom Verband Schweizerischer Inkassotreuhandinstitute (VSI) eingerichtete Beschwerdestelle hütet sich wohlweislich davor, das zentrale Thema der Inkassogebühren infrage zu stellen: Sie veröffentlicht vielmehr eine Liste mit Pauschalgebühren in Abhängigkeit des eingeforderten Betrags.
Die Inkassofirmen wenden neben überhöhten Gebühren auch immer fragwürdigere und aggressivere Praktiken an: Sie schicken ständig Mahnungen, selbst wenn die Schulden nicht fällig sind oder sie nicht den eigentlichen Schuldner erreichen; sie steigern die geforderten Beträge sehr rasch, bis die betroffenen Personen kapitulieren; sie drohen die Eintragung in Bonitätsdatenbanken an und dergleichen mehr. Unter diesem Druck und um Ärger zu vermeiden, zahlen die derart angegangenen Personen selbst dann, wenn sie bestreiten, diese Beträge zu schulden. Ein Eingreifen des Gerichts bleibt Theorie, denn viele Leute haben weder die persönlichen noch finanziellen Möglichkeiten, gerichtlich vorzugehen. Massnahmen, um diesen Praktiken Einhalt zu gebieten, sind also wichtig.
1. Wann sieht der Bundesrat vor, eine Gesetzesänderung vorzulegen, die den Tätigkeiten der Inkassounternehmen insgesamt einen Rahmen setzt und deren Stellung klar bestimmt?
2. Mehrere Nachbarstaaten haben ein Bewilligungsverfahren eingerichtet oder unter Strafandrohung die Erhebung von Inkassogebühren untersagt. Welche Massnahmen sieht der Bundesrat vor, um den missbräuchlichen Praktiken einen wirksamen Riegel zu schieben, insbesondere hinsichtlich der Gebühren, der Zinsen oder des Drucks auf die vermuteten Schuldnerinnen und Schuldner?
3. Sind ausländische Anwältinnen und Anwälte auf dem Weg über Inkassofirmen in der Schweiz berechtigt, angebliche Bussen für Verletzungen des Strassenverkehrsrechts in Rechnung zu stellen? Sind solche Vorgehensweisen strafrechtlich verfolgbar?
Stellungnahme des Bundesrats vom 11.8.21
1./2. Der Bundesrat hat sich in seinem Bericht “Rahmenbedingungen der Praktiken von Inkassounternehmen” vom 22. März 2017 in Erfüllung des Postulats Comte 12.3641 eingehend mit den Methoden von Inkassounternehmen befasst. Er hat dabei eine umfassende Regulierung der Inkassobranche (z.B. mit Bewilligungsverfahren und verbindlichen Sorgfaltspflichten) angesichts der bereits bestehenden Mittel als nicht verhältnismässig und damit nicht gerechtfertigt beurteilt. Das Obligationenrecht, das Straf- und Lauterkeitsrecht sowie das Datenschutzrecht sehen bereits heute Möglichkeiten vor, um gegen unangemessene bzw. aggressive Praktiken von Inkassounternehmen vorzugehen. So wurde im Bericht namentlich dargelegt, dass der eigene Aufwand eines Gläubigers bzw. eines beigezogenen Inkassounternehmens nur in Ausnahmefällen als Verzugsschaden nach Artikel 106 Absatz 1 OR (SR 220) gelten und auf den Schuldner überwälzt werden kann (Bericht vom 22. März 2017, Ziff. 4.1). Die Zustellung eines Zahlungsbefehls über einen hohen Betrag oder das Androhen von rechtlichen Schritten als Druckmittel zur Bezahlung von nicht bestehenden oder nicht durchsetzbaren Forderungen kann den Tatbestand der Nötigung erfüllen (Art. 181 StGB, SR 311.0; vgl. etwa Urteile des Bundesgerichts 6B_8/2017 E. 2 und 6B_1074/2016 E. 2.3). Ein Inkassounternehmen, welches täuschende oder irreführende Angaben über die eigenen rechtlichen Möglichkeiten macht, verhält sich unlauter (Art. 3 Abs. 1 Bst. b UWG, SR 241). Schliesslich enthält das Datenschutzgesetz (DSG, SR 235.1) rechtliche Vorgaben für die Datenbearbeitung, die auch für Inkassounternehmen gelten. Mit der Totalrevision des DSG, die am 25. September 2020 vom Parlament verabschiedet worden ist (BBl 2020 7639), wird der Datenschutz weiter gestärkt. Zusammenfassend besteht nach Ansicht des Bundesrates, auch wenn in der Praxis offenbar problematische Fälle vorkommen, kein Handlungsbedarf auf der Ebene der Gesetzgebung (s. auch Stellungnahmen zu den Mo. Flach 17.3561 und 20.3689).
3. Ausländische Verkehrsbussen sind in der Schweiz mangels staatsvertraglicher Grundlage in den meisten Fällen nicht vollstreckbar. Ausnahmen sind etwa der Polizeivertrag mit Frankreich und der trilaterale Vertrag mit Österreich und Liechtenstein, welche die Unterstützung bei der Durchsetzung rechtskräftiger Bussen umfassen (Art. 47 ff. des Abkommens zwischen der Schweiz und Frankreich über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Justiz‑, Polizei- und Zollsachen vom 9. Oktober 2007, SR 0.360.349.1; Art. 42 ff. des Vertrags zwischen der Schweiz, Österreich und Liechtenstein über die grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit vom 4. Juni 2012, SR 0.360.163.1). Das Lugano-Übereinkommen (Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, SR 0.275.12) ist auf die Eintreibung von Forderungen mit Strafcharakter wie Verkehrsbussen dagegen nicht anwendbar und deckt allenfalls die Eintreibung von nichtbezahlten ausländischen Gebühren für die Nutzung von Parkplätzen oder Autobahnen ab.
Sind Verkehrsbussen in der Schweiz rechtlich nicht vollstreckbar, ist fraglich, inwieweit sie in der Schweiz eingetrieben werden dürfen. Wird beim vermeintlichen Schuldner der Anschein erweckt, dass die geltend gemachte Forderung rechtlich durchsetzbar ist oder wird ihm eine Betreibung angedroht, kann dies den Straftatbestand der Nötigung erfüllen (s. oben Antwort auf Fragen 1./2.).
Es wird vielfach die Auffassung vertreten, dass das Inkasso ausländischer Verkehrsbussen in der Schweiz die schweizerische Souveränität tangiert und damit den Straftatbestand von Artikel 271 Absatz 1 StGB (“Verbotene Handlungen für einen fremden Staat”) erfüllt, sofern keine amtliche Bewilligung vorliegt. Inwieweit eine entsprechende Bewilligung erteilt werden könnte, ist fraglich. Auf jeden Fall nicht bewilligt werden könnten Handlungen, die den vorerwähnten Straftatbestand der Nötigung erfüllen.