Eingereichter Text
Dieser Fall zeigt einmal mehr das aggressive und ungehörige Verhalten der Inkassobüros, selbst wenn eine Forderung unbegründet ist. Er lässt zudem die Frage aufkommen, ob die Inkassobranche überhaupt in der Lage ist, solche missbräuchlichen Situationen zu verhindern, auch wenn der Bundesrat in seinem Bericht von 2017 in Erfüllung des Postulates Comte 12.3641 auf diese Selbstregulierung setzt.
Der Bundesrat ist auch der Ansicht, dass die derzeitigen rechtlichen Instrumente ausreichen. Es ist jedoch so, dass es fast keine Rechtsprechung in Zivilsachen im Zusammenhang mit Inkassounternehmen gibt und dass die wenigen zivilrechtlichen Entscheidungen unveröffentlichte erstinstanzliche Urteile sind. Diese Lücke legt den Schluss nahe, dass Inkassounternehmen die Sache oft fallen lassen, um keine Präzedenzfälle zu schaffen. Doch nur wenige Menschen gehen überhaupt vor Gericht. Sie geben eher dem Druck nach und zahlen die Forderungen sowie die überhöhten und/oder unbegründeten Inkassogebühren, die von ihnen verlangt werden.
2020 hat die Inkassobranche eine Beschwerdestelle ins Leben gerufen und einen Verhaltenskodex umgesetzt. Bisher sind uns keine Ergebnisse der Tätigkeit dieser Stelle bekannt. Die Stelle hält sich zwar für befugt, zu prüfen, ob die Grundforderungen begründet sind, weigert sich aber, sich zur Gebührenfrage zu äussern. Doch der Westschweizer Konsumentenschutzverband (Fédération romande des consommateurs) stellt fest, dass die Beschwerden über Inkassobüros stetig zunehmen und hauptsächlich die Höhe der Gebühren betreffen.
Wir danken dem Bundesrat für seine Antworten auf folgende Fragen:
1. Wie kann eine einheitliche Rechtsanwendung in der Inkassobranche gewährleistet und Missbrauch verhindert werden?
2. Wie kann man die Praxis der Selbstregulierung der Branche transparenter gestalten und sich von ihrer Wirksamkeit überzeugen?
3. Würde die Einrichtung einer unabhängigen Ombudstelle, die sowohl über die Praktiken der Inkassounternehmen als auch über die Frage der Gebühren entscheiden könnte, nicht sicherstellen, dass die Rechte der Schuldnerinnen und Schuldner besser berücksichtigt werden?
4. Wie kann eine unabhängige Aufsicht über die Praktiken der Inkassounternehmen gewährleistet werden, um Missbräuche zu verhindern?
Stellungnahme des Bundesrats vom 16.02.2022
1. Wie der Bundesrat in seinem Bericht “Rahmenbedingungen der Praktiken von Inkassounternehmen” vom 22. März 2017 in Erfüllung des Postulats Comte 12.3641 und in seiner Antwort auf die Interpellation Michaud Gigon 21.3551 “Den Praktiken von Inkassofirmen Grenzen setzen” ausgeführt hat, sehen das Obligationenrecht, das Straf- und Lauterkeitsrecht sowie das Datenschutzrecht Möglichkeiten vor, um gegen unangemessene bzw. aggressive Praktiken von Inkassounternehmen vorzugehen. Die bestehenden Regeln können in der Praxis mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln durchgesetzt werden, beispielsweise auch durch Musterklagen, Pilotprozesse oder allenfalls auch Verbandsklagen. Damit sollten sich Missbräuche verhindern lassen und es sollte eine einheitliche Rechtsanwendung resultieren.
In diesem Zusammenhang denkbar sind auch besondere Informations- und Sensibilisierungskampagnen mit denen zum Beispiel Konsumentenschutzverbände, eine aktive Rolle bei der Sicherstellung der korrekten und einheitlichen Anwendung des bestehenden Rechts spielen können.
Zu erinnern ist einmal mehr auch an die höchstrichterlichen Urteile, in denen das Bundesgericht festgehalten hat, dass das Androhen von rechtlichen Schritten als Druckmittel zur Bezahlung von nicht bestehenden oder nicht durchsetzbaren Forderungen strafrechtlich den Tatbestand der Nötigung erfüllen kann (Art. 181 StGB, SR 311.0; vgl. Urteile des Bundesgerichts 6B_8/2017 E. 2 und 6B_1074/2016 E. 2.3).
2. Wie der Bundesrat mehrfach ausgeführt hat, sieht er keinen Handlungsbedarf für den Gesetzgeber (s. Stellungnahmen zu den Mo. Flach 17.3561 und 20.3689; Antwort zu Ip. Michaud Gigon 21.3551), begrüsst aber die Selbstregulierung der Branche. Dabei obliegt es auch der Branche, für die nötige Transparenz zu sorgen und sich diesen selbst auferlegten Regelungen zu unterziehen. Wünschbar wäre aus Sicht des Bundesrates, dass dabei die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zur Geltendmachung von Inkassogebühren sichergestellt wird (dazu Bericht vom 22. März 2017, Ziff. 4.1).
3./4. Die Einrichtung einer unabhängigen Ombudsstelle oder einer Aufsichtsbehörde könnte die Rechtsdurchsetzung für die Schuldnerinnen und Schuldner zwar möglicherweise erleichtern. Die Einrichtung und der Erhalt solcher Strukturen würden jedoch erheblichen Aufwand und hohe Kosten verursachen. Die staatliche Anordnung solcher Massnahmen stellt für die betroffenen Unternehmen zudem einen Eingriff in ihre Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 und 94 BV) dar, welcher nicht leichthin vorgenommen werden darf. Der Bundesrat hat in seinem Bericht “Rahmenbedingungen der Praktiken von Inkassounternehmen” vom 22. März 2017 eine umfassende Regulierung der Inkassobranche angesichts der bereits bestehenden Mittel als nicht verhältnismässig und damit nicht gerechtfertigt beurteilt. Der Bundesrat sieht wie erwähnt derzeit keinen Anlass, auf diese Einschätzung zurückzukommen (s. zuletzt Antwort zu Ip. Michaud Gigon 21.3551).