Interpellation Mörgeli (10.3728): Kostenintensive Auflagen des EJPD an private Internet-Dienstleistungsfirmen
Abgeschrieben (28.09.2012)
Eingereichter Text
Der Entwurf des revidierten Bundesgesetzes über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF) wirft aus staatspolitischer und marktwirtschaftlicher Sicht zahlreiche Probleme auf. Aus diesem Grund ersuche ich den Bundesrat um Beantwortung der folgenden Fragen:
1. Aufgrund welcher Rechtsgrundlage hat das EJPD die neue elektronische Abhöranlage ISS bereits vor Genehmigung durch das Parlament bestellt?
2. Welche Kosten verursacht die Beschaffung dieses Interception-Systems Schweiz (ISS)?
3. Wie verhält sich das EJPD bezüglich des bereits beschafften ISS, falls das Parlament das revidierte Bundesgesetz BÜPF ablehnt?
4. Aufgrund welcher Rechtsgrundlage verlangt der EJPD-Dienst Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (ÜPF) von 650 privaten Internet-Dienstleistern ab sofort die Überwachung von E‑Mail-Verkehr und Internettelefonie in Echtzeit?
5. Aufgrund welcher Rechtsgrundlage zwingt das EJPD mit diesem Ansinnen Hunderte von Internetfirmen zur Anschaffung teurer Installationen?
6. Ist sich der Bundesrat bewusst, dass er mit seinen Auflagen an die Internet-Dienstleister Hunderte von KMU-Betrieben zu hohen Investitionen zwingt?
7. Wie stellt er sich zum Vorwurf der Internet-Dienstleister, dass die Vorgaben des Dienstes Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (ÜPF) technisch mangelhaft und kaum umsetzbar sind?
Stellungnahme des Bundesrats
Der Bundesrat ist bestrebt, bei der Fernmeldeüberwachung im Rahmen des Legalitätsprinzips einen Ausgleich zwischen den wichtigen Anliegen der Strafverfolgung, dem Grundrechtsschutz der überwachten Personen und den Interessen der Fernmeldedienstanbieterinnen zu erzielen.
1. Beim zu beschaffenden Interception-System Schweiz (ISS) handelt es sich um eine Ersatzbeschaffung für das heute in Betrieb befindliche Verarbeitungssystem LIS (Lawful Interception System), das am Ende seiner Lebensdauer angelangt ist. Die Funktionalität des zu beschaffenden Systems ISS stimmt mit derjenigen des abzulösenden Systems überein, ist jedoch den heutigen und zukünftigen technischen Anforderungen angepasst. Aufgrund dieser Tatsache entspricht das zu beschaffende System ISS den geltenden rechtlichen Anforderungen (Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs, BÜPF, SR 780.1) und kann deshalb unter geltendem Recht beschafft und in Betrieb genommen werden. Selbstverständlich muss es möglich sein, mit dem ISS den zusätzlichen Anforderungen zu entsprechen, welche das künftige BÜPF möglicherweise mit sich bringen wird. Das ISS ist daher so konzipiert, dass es nach Inkraftsetzung des revidierten BÜPF an neue Vorgaben angepasst werden könnte. Diese Anpassungen sind aber nicht Gegenstand des laufenden Beschaffungsprojekts.
2. Das Parlament hat für das Projekt ISS einen Verpflichtungskredit von 18,2 Millionen Franken gesprochen (Voranschlag 2010, Band 6, Bundesbeschlüsse, S. 221, V0200.00 Ersatz Lawful Interception System LIS beim ÜPF), somit hat es die Beschaffung der neuen elektronischen Abhöranlage ISS genehmigt (siehe Frage 1).
3. Da das System ISS bereits zur korrekten Umsetzung des geltenden Rechts notwendig ist (siehe Antwort 1), würde ein Scheitern der BÜPF-Revision das Projekt nicht betreffen. Revisionsbedingte Anpassungen des Systems würden allerdings dahinfallen.
4. Die Pflichten der Fernmeldedienstanbieterinnen sind in Artikel 15 BÜPF, das am 1. Januar 2002 in Kraft getreten ist, geregelt. Fernmeldedienstanbieterinnen müssen demnach dem Dienst ÜPF auf Verlangen die von den Strafverfolgungsbehörden angeforderten Überwachungsdaten aus einer Echtzeit-Überwachung sowie rückwirkende Daten liefern. Das Gesetz spricht nicht von einzelnen Fernmelde-Technologien, sondern von den zu liefernden Daten. Um diese Daten dem Dienst ÜPF liefern zu können, müssen die Fernmeldedienstanbieterinnen über die nötigen technischen Einrichtungen verfügen. Gemäss den bestehenden gesetzlichen Grundlagen (Art. 15 BÜPF; Art. 18 Abs. 2 und 26 Abs. 2 VÜPF) sind die Fernmeldedienstanbieterinnen verpflichtet, die Überwachung des Fernmeldeverkehrs schon von der Aufnahme des Kundenbetriebes eines Fernmeldedienstes an sicherzustellen.
5./6. Die Fernmeldedienstanbieterinnen, die unter den Anwendungsbereich des BÜPF fallen, sind gemäss Artikel 16 Absatz 1 BÜPF verpflichtet, die für eine Überwachung notwendigen Einrichtungen auf ihre Kosten anzuschaffen und zu implementieren. Diese gesetzliche Verpflichtung besteht seit Inkrafttreten des geltenden Gesetzes, also seit gut zehn Jahren. Dass es nun zu einer Anpassung an den Stand der Technik kommt, war ebenso vorhersehbar, wie es notwendig ist, um zur Bekämpfung der Kriminalität effektive Fernmeldeüberwachungen durchführen zu können. Die auf dem Gebiet der Überwachungstechnologien spezialisierten Unternehmen bieten übrigens sowohl kleine als auch mittlere bis grosse Lösungen für Überwachungstechnologien an. Mit diesen individuell anpassbaren Lösungen bleibt der Grundsatz der Verhältnismässigkeit gewahrt.
7. Die Anbindung an das System LIS funktioniert und ist mit zahlreichen Fernmeldedienstanbieterinnen schon längst realisiert. Die technischen, organisatorischen und administrativen Richtlinien basieren übrigens grösstenteils auf den der Branche europaweit bekannten Standards des Europäischen Instituts für Telekommunikationsnormen (European Telecommunications Standards Institute), den sogenannten ETSI-Standards. Die Richtlinien werden in engem Austausch mit den Fernmeldedienstanbieterinnen erarbeitet und den neuen Anforderungen angepasst. Derzeit läuft eine erneute Anhörung der Fernmeldedienstanbieterinnen, nach deren Auswertung die Richtlinien bereinigt und veröffentlicht werden.