Die Abteilung Sozialversicherungsrecht des KGer BL hat in einem Urteil vom 28. Juli 2022 (Geschäftsnr. 715 21 112/174) entschieden, dass eine Arbeitslosenkasse bei der Abklärung von Anspüchen auf Arbeitslosenentschädigung (ALE) nicht berechtigt ist, Akten aus einem ALE-Dossier der Mutter des Anspruchstellers beizuziehen.
Vorliegend hatte die Arbeitslosenkasse Baselland nach einem ablehnenden Entscheid im Beschwerdeverfahren vor dem KGer BL Unterlagen aus dem Dossier der Mutter des Anspruchstellers eingereicht, um damit zu belegen, dass in Wirklichkeit nicht diese, sondern eben ihr Sohn die Firma leite (was einen Anspruch auf ALE ausschliesst).
Art. 33 ATSG sieht in einem grossen Teil des Sozialversicherungsrechts eine Schweigepflicht vor. Eine Bekanntgabe ist in diesem Rahmen nur auf einer gesetzlichen Grundlage erlaubt, sofern keine Ausnahme greift (z.B. eine Einwilligung). Vorliegend fehlt aber eine solche Grundlage, weil Art. 97a des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (die Parallelbestimmung etwa zu Art. 84a KVG) eine Bekanntgabe in dieser Konstellation nicht erlaubt.
Auch Art. 32 ATSG war nicht anwendbar – zwar sieht diese Bestimmung vor, dass sich die Verwaltungs- und Rechtspflegebehörden u.a. des Bundes und der Kantone Amtshilfe leisten, aber dabei gehe es, so das KGer, nur um Daten der versicherten Person und nicht von Drittpersonen:
Gemäss Art. 32 Abs. 2 ATSG leisten die Organe der einzelnen Sozialversicherungen einander unter den gleichen Bedingungen Verwaltungshilfe. Sowohl die Amts- als auch die Verwaltungshilfe betrifft jeweils die Bekanntgabe von Daten der versicherten Person selber und nicht – wie im hier zu beurteilenden Fall – die Bekanntgabe von Daten einer Drittperson.
Die eingereichten Akten waren damit rechtswidrig erlangte Beweismittel, was die Frage ihrer Verwertbarkeit aufwarf. Im Sozialversicherungsverfahren fehlt allerdings eine Bestimmung, die diese Frage ausdrücklich regeln würde. Das KGer greift deshalb auf “allgemeine Grundsätze” zurück:
Es ist daher auf die allgemeinen Grundsätze zurückzugreifen, wonach gemäss der Rechtsprechung ein grundsätzliches Verwertungsverbot für widerrechtlich erlangte Beweismittel besteht. Dieses Verbot gilt jedoch nicht absolut. Wo im Vergleich überwiegende Interessen an der Durchsetzung des öffentlichen Rechts bestehen, kann ausnahmsweise auch ein rechtswidrig erlangter Beweis verwendet werden.
Vorliegend komme eine Verwertung aber nicht in Betracht, weil die fraglichen Daten sensibel bzw. besonders schützenswert sind:
Im Lichte der vorstehenden Ausführungen fällt vorliegend eine Verwendung der rechtswidrig erlangten Beweismittel aus dem ALE-Dossier von E. [der Mutter] nicht in Betracht. Bei den betreffenden Personendaten handelt es sich um sensible Informationen aus der Privatsphäre der Betroffenen, namentlich auch um Informationen über deren Gesundheitszustand. Solche Daten sind besonders schützenswerter Natur, was im vorliegenden Fall im Rahmen einer Interessenabwägung – zwischen dem öffentlichen Interesse an der Ermittlung der Wahrheit und dem Interesse von E. an der Nichtbekanntgabe dieser Daten – ausschlaggebend zu Gunsten des Interesses der Betroffenen zu gewichten ist.