Anwalts­kol­le­ge Mar­tin Stei­ger hat auf sei­nem Blog über einen wei­te­ren Straf­be­fehl wegen Ver­let­zung des Aus­kunfts­rechts berich­tet. Der Straf­be­fehl geht auf ein Aus­kunfts­be­geh­ren und einen Straf­an­trag von RA Stei­ger selbst zurück. Er ist bei RA Stei­ger und hier als PDF zu finden.

Fol­gen­der Sachverhalt:

  • Der Straf­be­fehl stammt vom Statt­hal­ter­amt Bezirk Zürich und ist am 4. März 2025 ergan­gen. Er ist offen­bar nicht rechtskräftig.
  • RA Stei­ger hat­te von der TX Group AG Aus­kunft ver­langt, ob Daten über ihn bear­bei­tet werden.
  • TX hat­te über einen “Unter­neh­mens­ju­ri­sten bei der TX Group AG”, der “unter ande­rem auf Daten­schutz spe­zia­li­siert ist”, geant­wor­tet. Tame­dia habe zwei Daten­sät­ze loka­li­siert, und 20 Minu­ten habe mit den von RA Stei­ger mit­ge­teil­ten Anga­ben im System kei­ne Daten­sät­ze gefun­den. Im wei­te­ren Aus­tausch mein­te RA Stei­ger, die Aus­kunft sei “offen­sicht­lich unvoll­stän­dig”. In der Fol­ge bat der Unter­neh­mens­ju­rist um Spe­zi­fi­zie­rung, wo RA Stei­ger die­se Daten ange­ge­ben habe, und erwähn­te, es gebe auch Zei­tungs­ar­ti­kel, die RA Stei­ger nen­nen. RA Stei­ger ant­wor­te­te u.a., er habe wäh­rend Jah­ren Kon­takt mit 20 Minu­ten gehabt. Im wei­te­ren Ver­lauf berief sich TX auf das Medi­en­pri­vi­leg nach Art. 27 DSG.
  • Offen­sicht­lich stell­te RA Stei­ger anschlie­ssend Straf­an­trag (antrags­be­rech­tigt ist nur der Verletzte).
  • Das Statt­hal­ter­amt ver­ur­teil­te den Unter­neh­mens­ju­ri­sten zur Bezah­lung einer Bus­se von CHF 600 und von Ver­fah­rens­ko­sten von CHF 430.
  • Es begrün­de­te den Straf­be­fehl wie folgt:

    Mit E‑Mail vom 1. Dezem­ber 2023 ant­wor­te­te der Beschul­dig­te, dass für alle Bear­bei­tungs­vor­gän­ge, die den Bereich der Publi­zi­stik beträ­fen, sich die Redak­ti­on von 20 Minu­ten auf ihr Ver­wei­ge­rungs­recht nach Art. 27 Abs. 1 bzw. Abs. 2 DSG stüt­ze. Dar­un­ter wür­den auch die von dem Anzei­ge­er­stat­ter ange­for­der­ten Kom­mu­ni­ka­ti­ons­in­hal­te und Noti­zen fal­len, sofern sie nicht bereits von Art. 2 Abs. 2 lit. a DSG erfasst wür­den. Damit gab der Beschul­dig­te zu, dass «20 Minu­ten» über Daten des Anzei­ge­er­stat­ters verfügt.

    Da der Beschul­dig­te als ver­ant­wort­li­che Per­son der TX Group AG durch sei­ne Aus­künf­te, dass bei «20 Minu­ten» kei­ne Daten zu fin­den sei­en, den Ein­druck erweck­te, dass die­se voll­stän­dig sind, obschon wei­te­re Daten in Bezug auf den Anzei­ge­er­stat­ter vor­han­den sind, gab der Beschul­dig­te wis­sent­lich und wil­lent­lich eine unrich­ti­ge bzw. unvoll­stän­di­ge Aus­kunft, womit er sich der vor­sätz­li­chen Über­tre­tung von Art. 60 Abs. 1 lit. a DSG schul­dig mach­te. Für die began­ge­ne Über­tre­tung ist der Beschul­dig­te zu bestrafen.

Die dürf­ti­ge Begrün­dung und der Straf­an­trag wer­fen Fra­gen auf.

Fal­scher Anschein der Vollständigkeit?

Im objek­ti­ven Tat­be­stand setzt eine Stra­fe nach Art. 60 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 25 DSG vor­aus, dass die Aus­kunft irre­füh­rend ist. Das kann sie sein, wenn ein Teil der Aus­kunft falsch ist oder wenn sie einen fal­schen Ein­druck her­vor­ruft. Dazu gehört auch der Fall, dass eine tat­säch­lich unvoll­stän­di­ge Aus­kunft als voll­stän­dig erscheint.

Nicht straf­bar sind dem­ge­gen­über insbesondere:

  • Untä­tig­keit (gar kei­ne Reak­ti­on, unver­hält­nis­mä­ssi­ge Ver­län­ge­rung der Antwortfrist);
  • Total­ver­wei­ge­rung mit oder ohne Begrün­dung (“wir reden nicht mit Ihnen”, “das DSG ist nicht anwend­bar”, “es gilt Aus­nah­me XY” usw.);
  • die unvoll­stän­di­ge Aus­kunft, soweit nicht der fal­sche Ein­druck erweckt wird, die Aus­kunft sei voll­stän­dig. So auch die Botschaft:

    Absatz 1 Buch­sta­be a umfasst das vor­sätz­li­che Ertei­len einer fal­schen Aus­kunft, aber auch das vor­sätz­li­che Ertei­len einer unvoll­stän­di­gen Aus­kunft, wäh­rend der Ein­druck erweckt wird, dass die Aus­kunft voll­stän­dig sei.

Die Straf­bar­keit setzt also vor­aus, dass die unvoll­stän­di­ge Aus­kunft über­haupt geeig­net ist, den Ein­druck der Voll­stän­dig­keit zu erwecken: 

  • Eine unein­ge­schränk­te Voll­stän­dig­keits­er­klä­rung ist schäd­lich. Davon ist natür­lich abzu­ra­ten, und ein Anspruch auf eine sol­che besteht auch nicht (auch wenn das Muster­aus­kunfts­be­geh­ren des EDÖB dar­um ersucht).
  • Sucht ein Ver­ant­wort­li­cher nicht in allen Syste­men, weil er annimmt, es gehe dem Betrof­fe­nen nur um bestimm­te Daten, soll­te er des­halb offen­le­gen, dass er sei­ne Such­be­mü­hun­gen beschränkt hat. In die­sem Fall kommt eine straf­recht­lich rele­van­te Ver­let­zung des Aus­kunfts­rechts nicht in Betracht. Dabei kommt es auf die Umstän­de und kon­kre­ten For­mu­lie­run­gen an.
  • Vor­lie­gend hat­te TX kei­ne Voll­stän­dig­keits­er­klä­rung abge­ge­ben. TX sag­te viel­mehr, man habe “zwei Daten­sät­ze im System fin­den kön­nen”. Das deu­tet dar­auf hin, dass die inter­ne Suche nach Daten von RA Stei­ger mit begrenz­tem Auf­wand durch­ge­führt wur­de, und lässt zumin­dest anklin­gen, es könn­ten wei­te­re Daten vor­han­den sein (wes­halb wir die­se Form der Ant­wort in unse­rer Muster­ant­wort emp­feh­len). Wie immer man die­sen Umstand wür­digt: Es ist schwer zu ver­ste­hen, dass das Statt­hal­ter­amt nicht wenig­stens prüf­te, ob die Aus­kunft von TX unter die­sen Umstän­den den Ein­druck von Voll­stän­dig­keit erwecken konnte.

Es fragt sich wei­ter, was gilt, wenn eine Aus­kunft an sich zwar geeig­net ist, den fal­schen Anschein der Voll­stän­dig­keit her­vor­zu­ru­fen, die­ser Ein­druck tat­säch­lich aber nicht ent­steht, weil der Adres­sat – war­um auch immer – weiss oder annimmt, dass die Aus­kunft tat­säch­lich unvoll­stän­dig ist.

Das ist die vor­lie­gen­de Kon­stel­la­ti­on. RA Stei­ger hielt gegen­über TX fest, die Aus­kunft sei “offen­sicht­lich unvoll­stän­dig”. Dar­über mag er sich geär­gert haben, viel­leicht nicht zu Unrecht, aber der Ärger belegt gera­de, dass kein Irr­tum bestand.

Soweit ersicht­lich haben sich Lite­ra­tur und Recht­spre­chung nicht mit der Fra­ge befasst, ob eine kon­kre­te Irre­füh­rung erfor­der­lich ist. Der objek­ti­ve Tat­be­stand kann hier aber nur voll­endet sein, wenn man die Irre­füh­rungs­ge­fahr als abstrak­tes Gefähr­dungs­de­likt begreift, d.h. die abstrak­te Gefahr eines fal­schen Ein­drucks genü­gen lässt.

Das kann man kaum:

  • Mani­fe­stiert sich eine abstrakt bestehen­de Irre­füh­rungs­ge­fahr im kon­kre­ten Fall nicht, kann der Betrof­fe­ne den Zivil­weg beschrei­ten. Die Straf­bar­keit soll aber dort nicht grei­fen, wo der Betrof­fe­ne den Zivil­weg beschrei­ten kann. Dazu die Bot­schaft mit einer ver­all­ge­mei­ne­rungs­fä­hi­gen Bemerkung:

    Nicht straf­bar ist dage­gen die pri­va­te Per­son wel­che unter Beru­fung auf Arti­kel 18 oder 25 behaup­tet, dass sie nicht zur Infor­ma­ti­on ver­pflich­tet sei. In einem sol­chen Fall weiss die betrof­fe­ne Per­son näm­lich, dass eine Daten­be­ar­bei­tung statt­fin­det. Sie ist des­halb in der Lage, ihre Rech­te gel­tend zu machen und ein zivil­recht­li­ches Ver­fah­ren ein­zu­lei­ten, in wel­chem dar­über ent­schie­den wer­den kann, ob die Ver­wei­ge­rung oder Ein­schrän­kung des Aus­kunfts­rechts oder der Infor­ma­ti­ons­pflicht gerecht­fer­tigt ist. Absatz 2 über­nimmt Art. 34 Absatz 2 Buch­sta­be b DSG, wel­cher das Ertei­len fal­scher Aus­künf­te oder die Ver­wei­ge­rung der Mit­wir­kung im Rah­men einer Unter­su­chung des Beauf­trag­ten für straf­bar erklärt.

  • Zudem erfolgt die Aus­kunft inner­halb der Bin­nen­be­zie­hung zwi­schen dem Ver­ant­wort­li­chen und dem Betrof­fe­nen. Es geht nicht um ein Mas­sen­kom­mu­ni­ka­ti­ons­de­likt. Man muss kei­ne Ver­kehrs­auf­fas­sung und daher kei­nen abstra­hier­ten Mas­stab suchen.
  • Das Aus­kunfts­recht dient dem Schutz der infor­ma­tio­nel­len Selbst­be­stim­mung (oder was immer der Schutz­zweck von Art. 13 BV ist), jeden­falls dem Indi­vi­du­al­schutz. Man muss des­halb kei­ne abstrakt heik­len Aus­künf­te ver­hin­dern – es reicht, wenn der Betrof­fe­ne fak­tisch nicht hin­ters Licht geführt wird.

Vor die­sem Hin­ter­grund ist nicht zu erken­nen, wes­halb eine abstrak­te Irre­füh­rungs­ge­fahr genü­gen soll, wenn kon­kret kei­ne Fehl­vor­stel­lung besteht. Mit ande­ren Wor­ten: Ist wie hier klar, dass der Betrof­fe­ne nicht zur Mei­nung ver­lei­tet wur­de, die Aus­kunft sei voll­stän­dig, kann die Unvoll­stän­dig­keit nicht straf­bar sein und kann und soll der Betrof­fe­ne ans Zivil­ge­richt gelangen.

Vor­satz?

Eine Bestra­fung nach Art. 60 DSG setzt wei­ter Vor­satz vor­aus, wobei Even­tu­al­vor­satz genügt. Der Unter­neh­mens­ju­rist hät­te vor­lie­gend also wis­sen oder anneh­men und in Kauf neh­men müs­sen, dass

  • sei­ne Aus­kunft objek­tiv unvoll­stän­dig ist und
  • der fal­sche Ein­druck der Voll­stän­dig­keit ent­steht (denn der Vor­satz muss den gesam­ten objek­ti­ven Tat­be­stand umfassen).

Das ist hier nicht erstellt und mit gröss­ter Wahr­schein­lich­keit auch nicht der Fall:

  • Erstens ist klar, dass der Unter­neh­mens­ju­rist die Syste­me von TX nicht höchst­per­sön­lich nach Daten von RA Stei­ger durch­sucht. Die Aus­kunfts­er­tei­lung ist zumin­dest in grö­sse­ren Unter­neh­men ein arbeits­tei­li­ger Vor­gang. Man darf dem Unter­neh­mens­ju­ri­sten des­halb nicht ein­fach unter­stel­len, er habe gewusst oder ange­nom­men, dass die ihm intern gelie­fer­ten Anga­ben unvoll­stän­dig sei­en. Die Ant­wort, Tame­dia habe “zwei Daten­sät­ze fin­den kön­nen”, lässt im Gegen­teil deut­lich erken­nen, dass er schlicht wei­ter­ge­reicht hat, was eine Busi­ness­funk­ti­on loka­li­sie­ren konn­te, ohne dies in Fra­ge zu stel­len. In die­sem Fall kommt wohl nur bewuss­te Fahr­läs­sig­keit in Betracht, die aber eben­falls vor­aus­setzt, dass der Unter­neh­mens­ju­rist pflicht­wid­rig auf Voll­stän­dig­keit ver­traut hatte.
  • Zwei­tens liegt die Annah­me nahe, dass der Unter­neh­mens­ju­rist nicht wuss­te oder annahm, RA Stei­ger wer­de zu Unrecht auf Voll­stän­dig­keit der Aus­kunft ver­trau­en. Sonst hät­te er sei­ne Ant­wor­ten an RA Stei­ger anders formuliert.

Zu die­sen Fra­gen fin­den sich im Straf­be­fehl kei­ne Aus­füh­run­gen, der Vor­satz wird schlicht unterstellt:

Da der Beschul­dig­te als ver­ant­wort­li­che Per­son der TX Group AG durch sei­ne Aus­künf­te, dass bei ’20 Minu­ten’ kei­ne Daten zu fin­den sei­en, den Ein­druck erweck­te, dass die­se voll­stän­dig sind, obschon wei­te­re Daten in Bezug auf den Anzei­ge­er­stat­ter vor­han­den sind, gab der Beschul­dig­te wis­sent­lich und wil­lent­lich eine unrich­ti­ge bzw. unvoll­stän­di­ge Auskunft.

Das Statt­hal­ter­amt hat­te offen­sicht­lich kei­ne Lust, sich Fra­gen zu stel­len oder den Sach­ver­halt näher abzu­klä­ren, ins­be­son­de­re nicht, wer bei TX wann was wuss­te und wer wann wofür ver­ant­wort­lich war. Ange­sichts der nied­ri­gen Höhe des Straf­be­fehls hät­te die Bus­se dann aber – wenn schon – gegen TX selbst ver­hängt wer­den müs­sen (Art. 64 Abs. 2 DSG).

Anmer­kun­gen

Der Straf­an­trag und der Straf­be­fehl scha­den dem real exi­stie­ren­den Daten­schutz. Die per­sön­li­che Straf­bar­keit war immer nur Not­lö­sung. Dass damit fal­sche Anrei­ze gesetzt wer­den, war klar (sie­he dazu Glatt­haar auf die­sem Blog). Man durf­te aber hof­fen, dass Bus­sen auf schwe­re­re Fäl­le beschränkt wer­den. Vor­lie­gend mögen Feh­ler gemacht wor­den sein, aber wenn, dann gewiss durch das Unter­neh­men. Ein Straf­be­fehl spielt aber auf den Mann bzw. die Frau. Genau dies ist das Pro­blem bei Bus­sen. Sie füh­ren letzt­lich nur dazu, dass sich Daten­schutz­ju­ri­sten und ‑juri­stin­nen in Unter­neh­men schwe­rer fin­den las­sen, dass sie risi­ko­scheu­er bera­ten, und dass über­stei­ger­te Vor­stel­lun­gen von Unab­hän­gig­keit zu einem Schwarz­pe­ter­spiel füh­ren. Das erschwert die Zusam­men­ar­beit zwi­schen den Abtei­lun­gen bzw. der 1st und der 2nd Line. Gera­de dies führt zu Feh­lern wie einer unvoll­stän­di­gen Auskunft.