Eingereichter Text
Der Bundesrat wird beauftragt, die Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmenden beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) und algorithmischen Systemen am Arbeitsplatz auf gesetzlicher Ebene zu stärken, wenn diese Systeme für Empfehlungen, Prognosen, Entscheidungen usw. benutzt werden, die Arbeitnehmende betreffen oder Arbeitnehmendendaten verwenden. Die Anpassungen sollen insbesondere die kollektive Mitsprache stärken. Hierfür sollen das Mitspracherecht ausgeweitet, Informationsrechte gestärkt, kollektive Klagerechte geschaffen sowie Sanktionsmöglichkeiten geprüft werden. Ziel ist, Risiken, die für Arbeitnehmende entstehen, zu minimieren, und sicherzustellen, dass auch Arbeitnehmende profitieren.
Begründung
Wie neue Untersuchungen zeigen, fürchten viele Arbeitnehmende in der Schweiz um ihre Stelle. Oft wird diese Angst von Ungewissheit darüber begleitet, welche Technologien am Arbeitsplatz eingesetzt und wofür ihre Daten verwendet werden. Intransparenz und Unsicherheit sind einem guten Arbeitsverhältnis nicht dienlich und schmälern das Vertrauen der Arbeitnehmenden in eingesetzte Systeme. Mangelnde Mitsprache kann Ungerechtigkeiten mit sich bringen, da die Folgen auf verschiedene Betroffene nicht umfassend berücksichtigt werden, sowie zu negativen Auswirkungen auf die Gesundheit der Mitarbeitenden führen – gerade bei automatisierter Überwachung.
Ein neues Rechtsgutachten der Universität St. Gallen zeigt Handlungsbedarf auf: Das Mitwirkungsrecht hat diverse Lücken und schützt die Rechte der Arbeitnehmenden nicht ausreichend. Deshalb ist es wichtig, die Mitwirkungsrechte zu stärken. Das Gesetz muss klare Pflichten für die Arbeitgeber definieren, in welcher Form Arbeitnehmende einzubeziehen sind und wie die Informationsrechte gestärkt werden. Mitarbeitende sollen auf externe Fachpersonen zurückgreifen können. Systeme mit Gesundheitsbezug sollten zudem noch stärkeren Mitwirkungspflichten unterliegen. Ein weiteres Problem besteht darin, dass sowohl verwendete Daten als auch Effekte auf die Mitarbeitenden oft kollektiv sind. Deshalb braucht es kollektive Mitsprachemöglichkeiten und kollektive Klagerechte. Mit Sanktionsmöglichkeiten könnten Arbeitgeber, die gegen die Mitwirkungsvorgaben verstossen, belangt werden.
Stellungnahme des Bundesrats vom 14.2.24
Der Bundesrat ist sich bewusst, dass der zunehmende Einsatz algorithmischer Systeme am Arbeitsplatz mit Unsicherheiten verbunden ist. Das Mitwirkungsgesetz (SR 822.14) sieht diesbezüglich ein allgemeines Informationsrecht vor (Art. 9), das durch besondere Mitspracherechte ergänzt wird, namentlich im Bereich der Gesundheit am Arbeitsplatz (Art. 10 Abs. 1 Bst. a i. V. m. Art. 48 Abs. 1 Bst. a des Arbeitsgesetzes [ArG]). Zusätzlich zum Informations- und dem Mitspracherecht gibt es Vorschriften zum Gesundheitsschutz, die den Einsatz von Überwachungs- oder Kontrollsystemen, welche das Verhalten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Arbeitsplatz überwachen sollen, verbieten (Art. 26 Abs. 1 der Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz [ArGV 3]). Das im Gleichstellungsgesetz (GlG, SR 151.1) verankerte Diskriminierungsverbot in privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnissen gilt auch in Fällen, in denen der Arbeitgeber künstliche Intelligenz (KI) einsetzt. Das Datenschutzgesetz (DSG, SR 235.1) gewährleistet seinerseits einen umfassenden Schutz der Personendaten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Mit der Revision des DSG wurde insbesondere bei automatisierten Einzelentscheidungen die Informationspflicht verstärkt und die Möglichkeit zum Beizug einer natürlichen Person geschaffen. Des Weiteren enthält Art. 22 DSG neu auch eine Verpflichtung des Verantwortlichen zur Durchführung einer Datenschutz-Folgenabschätzung, wenn eine Bearbeitung ein hohes Risiko für die Persönlichkeit oder die Grundrechte der betroffenen Person mit sich bringen kann, welches sich unter anderem aufgrund der Verwendung neuer Technologien (Art. 22 Abs. 2 DSG) wie künstlicher Intelligenz ergibt. Die Artikel 328 und 328b des Obligationenrechts schliesslich garantieren den Schutz der Persönlichkeit von Arbeitnehmenden.
Der heutige Rechtsrahmen enthält auch Instrumente zur Geltendmachung von Rechten. Für die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Vorschriften sind die kantonalen Arbeitsinspektorate zuständig. Insbesondere Artikel 59 ArG sieht strafrechtliche Sanktionen für Widerhandlungen gegen Bestimmungen über den Gesundheitsschutz vor. Bei Verstössen gegen das Mitwirkungsgesetz können die Arbeitnehmerverbände auf Feststellung klagen (Art. 15 Abs. 2 des Mitwirkungsgesetzes), und Artikel 7 GlG sieht die Möglichkeit für Klagen und Beschwerden von Organisationen vor, die seit mindestens zwei Jahren bestehen und die nach ihren Statuten die Gleichstellung von Frau und Mann fördern oder die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wahren. Im Übrigen hat der Bundesrat in seiner Botschaft vom 10. Dezember 2021 zur Änderung der Schweizerischen Zivilprozessordnung (Verbandsklage und kollektiver Vergleich) vorgeschlagen, die kollektive Rechtsdurchsetzung substanziell zu stärken. Diese Vorlage befindet sich derzeit in der parlamentarischen Beratung. Auf der Grundlage von Artikel 49 Absatz 1 DSG kann der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB) von Amtes wegen oder auf Anzeige hin eine Untersuchung eröffnen, wenn genügend Anzeichen bestehen, dass eine Datenbearbeitung gegen die Datenschutzvorschriften verstossen könnte. Gegebenenfalls kann er verfügen, dass die Bearbeitung der Daten ganz oder teilweise angepasst, unterbrochen oder abgebrochen wird und die Personendaten ganz oder teilweise gelöscht oder vernichtet werden (Art. 51 DSG). Des Weiteren sieht das DSG Strafbestimmungen für Verletzungen der Sorgfalts- oder der Schweigepflicht und für das Missachten von Verfügungen des EDÖB vor. Die Verfolgung und die Beurteilung strafbarer Handlungen obliegen den Kantonen (Art. 60 ff. DSG).
KI entwickelt sich somit nicht in einem rechtsfreien Raum. Die Frage, ob das Schweizer Recht den Herausforderungen im Zusammenhang mit KI gewachsen ist, wird derzeit geprüft. Der Bundesrat hat am 22. November 2023 das UVEK und das EDA beauftragt, eine Auslegeordnung möglicher Regulierungsansätze für den Einsatz von künstlicher Intelligenz zu erstellen. Gegenstand der Analyse, die bis Ende 2024 vorliegen soll, ist auch die Identifikation von sektorspezifischem Regulierungsbedarf im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz. Gestützt auf diese Arbeiten wird der Bundesrat entscheiden, ob allenfalls gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht und wie diesem Rechnung getragen werden soll. Den Ergebnissen dieser Arbeiten soll nicht vorgegriffen werden.