Motion Janiak (16.3186): Amtsgeheimnis und Behördenkooperation. Ergänzung von Artikel 320 Ziffer 2 StGB
Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion.
Eingereichter Text
Der Bundesrat wird beauftragt, dem Parlament eine Gesetzesvorlage zu unterbreiten, welche die Rechtfertigungsgründe beim Tatbestand der Verletzung des Amtsgeheimnises (Art. 320 StGB) in Fällen erweitert, wenn Geheimnisse aufgrund eines überwiegenden öffentlichen Interesses geoffenbart worden sind oder geoffenbart werden mussten.
Begründung
Zwischen der Pflicht zur Behördenkooperation und der Verpflichtung zum Amtsgeheimnis besteht ein Spannungsfeld. Für viele Angestellte im öffentlich-rechtlichen Bereich ist oft nicht klar, welche Datenweitergabe an andere Behördenmitglieder oder Beamte ihnen erlaubt ist und wann sie womöglich ein Delikt begehen. Die geltende Rechtslage ist unübersichtlich. Artikel 320 StGB besteht seit mehr als einem halben Jahrhundert in unveränderter Form. In der Zwischenzeit hat sich hinsichtlich des Geheimnisschutzes sowie in Bezug auf das Verständnis der Verwaltungstätigkeit und des öffentlichen Interesses einiges verändert. Karin Blöchlinger hat in ihrer Bachelorarbeit “Amtsgeheimnis und Behördenkooperation” die Problematik aufgegriffen und schlägt eine klärende Ergänzung der Regelung des Amtsgeheimnisses in Artikel 320 Ziffer 2 StGB durch die Erweiterung um einen zweiten Rechtfertigungsgrund vor (vgl. Wirtschaftsjuristische Arbeiten 6, Schulthess, Zürich 2015). Der Täter soll auch dann nicht strafbar sein, “wenn er das Geheimnis aufgrund eines überwiegend öffentlichen Interesses innerhalb derselben oder an eine andere Behörde geoffenbart hat und die Offenbarung dieser zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgabe diente.” Das Bundesgesetz über den Datenschutz soll vorbehalten bleiben. Die Motion greift diesen Vorschlag auf, lässt aber selbstverständlich auch Raum für eine andere Formulierung.
Stellungnahme des Bundesrats
Artikel 320 des Strafgesetzbuches (StGB; SR 311.0) stellt das Offenbaren von Amtsgeheimnissen durch Beamte unter Strafe. Ob das Geheimnis innerhalb oder ausserhalb der Verwaltung offenbart wird, spielt keine Rolle. Der Motionär fokussiert indessen auf die Behördenkooperation und die Wahrung überwiegender öffentlicher Interessen.
In verschiedenen Bereichen der Verwaltungstätigkeit von Bund und Kantonen wurden in den letzten Jahren spezifische und präzise Regeln zur Amts- und Rechtshilfe erlassen. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zu 13.3277 Ip. Regazzi die Unterschiede zwischen Anzeigerechten und ‑pflichten einerseits und Melderechten und ‑pflichten andererseits erläutert. Auch in gewissen Bereichen des Verwaltungsrechts, z. B. in Artikel 39 des Finanzmarktaufsichtsgesetzes (FINMAG; SR 956.1), sind Amtshilferegeln normiert. Der Bundesrat zieht solche Regelungen vor, da sie gemäss Artikel 14 StGB die Strafbarkeit wegen einer Amtsgeheimnisverletzung nach klaren Leitlinien ausschliessen.
Es mag zwar z. B. nützlich scheinen, der über eine Berufszulassung entscheidenden Behörde oder einer Schulbehörde zu melden, gegen welche Personen in einem bestimmten Strafverfahren ermittelt wird. Allerdings haben sowohl die Strafverfolgungsbehörde als auch die betroffenen Personen ein Interesse daran, dass diese Informationen nur zu genau festgelegten Bedingungen weitergegeben werden, die in Artikel 364 StGB und in Artikel 75 der Strafprozessordnung (StPO; SR 312.0) festgelegt sind. Der in der Motion vorgeschlagene Rechtfertigungsgrund würde zu einer uneinheitlichen Informationsweitergabe führen, und die vorgesetzten Behörden wären nicht mehr in der Lage, eine einheitliche Praxis sicherzustellen. Die Amtshilfe muss im Sinne der Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit auf einer präzisen gesetzlichen Grundlage beruhen. Der verlangte Rechtfertigungsgrund könnte nicht zuletzt auch Kollisionen mit solchen Amtshilferegeln von Bund und Kantonen verursachen.
Zudem muss die vorgesetzte Behörde bei der Erteilung einer Einwilligung gemäss Artikel 320 Ziffer 2 StGB die vom Motionär vorgeschlagene Interessenabwägung bereits heute vornehmen (vgl. etwa Art. 170 Abs. 3 StPO). Dass diese Einwilligung nicht vom betroffenen Beamten, sondern von der vorgesetzten Behörde und zudem schriftlich erteilt werden muss, soll letztlich Gewähr bieten, dass die Interessenabwägung – auch im Interesse allfällig betroffener Bürgerinnen und Bürger – sorgfältig vorgenommen wird.
Die in der Motion geforderte Aufnahme des Rechtfertigungsgrundes in Artikel 320 StGB ist deshalb überflüssig und könnte zu zahlreichen Spannungen und zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen. Letztlich bestünde die Gefahr, dass damit die Behördenkooperation sogar beeinträchtigt wird. Der Bundesrat ist deshalb der Ansicht, dass die Behördenkooperation im geltenden Recht sachgemäss und im Sinne der Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit geregelt ist.
Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass Lehre und Rechtsprechung auch beim Tatbestand der Verletzung des Amtsgeheimnisses (Art. 320 StGB) den aussergesetzlichen Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen anerkennen (z.B. Urteil des Bundesgerichts 6B_305/2011 vom 12. Dezember 2011, E. 3.). Dazu zählen auch die vom Motionär angeführten überwiegenden öffentlichen Interessen.