Motion Riklin (09.4222): Rechtliche Verantwortlichkeit von Internetprovidern
abgeschrieben (23.12.2011)
Eingereichter Text
Der Bundesrat wird beauftragt, dem Parlament eine Gesetzesvorlage zur juristischen Verantwortlichkeit von Internetprovidern zu unterbreiten, welche die bisherige Rechtsunsicherheit beseitigt.
Begründung
Von klaren Rechtsregeln profitieren Provider, Kunden, Behörden, aber auch die Justiz. Im Ausland (EU und USA) wurde dies erkannt, und die Rechtslage im Internet wurde zumindest in den Grundzügen rechzeitig geklärt. In der Schweiz hingegen herrschen komplette Unsicherheit und Orientierungslosigkeit. Es wird seit mehr als einem Jahrzehnt über die rechtliche Verantwortlichkeit der Internetprovider gestritten. Geklärt ist hierzulande einzig, dass die Urheber rechtswidriger Inhalte (Content Provider) juristisch verantwortlich sind, wenn sie denn identifiziert werden können. Unverändert unklar ist hingegen, wie weit die Verantwortlichkeit der weiteren Beteiligten in der Kommunikationskette reicht. Dies gilt namentlich für die Hostprovider, die ihrer Kundschaft das Aufladen von Informationen auf ihrem Webserver ermöglichen. Die allgemeinen Vorschriften im schweizerischen Straf- und Zivilrecht sind nicht auf die Online-Welt zugeschnitten. Auf ihrer Basis lässt sich sowohl eine besonders scharfe Verpflichtung der Provider begründen als auch das Gegenteil. Experten sind sich uneins, die Rechtswissenschaft widerspricht den Behörden, die Gerichte (vor allem auf kantonaler Ebene) haben Mühe, nur schon die unterschiedlichen Providergattungen voneinander zu unterscheiden. In der EU wurde längst erkannt, dass unterschiedliche Ansätze in den Rechtsvorschriften und der Rechtsprechung und die daraus resultierende Rechtsunsicherheit den freien Dienstleistungsverkehr behindern. Es ist nicht einsichtig, weshalb die Schweiz in einem international vernetzten Bereich wie der Online-Kommunikation isoliert und ohne spezifische Regelung auszukommen glaubt. Der Verzicht auf klare Regeln ist auch rechtsstaatlich fragwürdig. Bereits 2001 haben National- und Ständerat eine rechtssichere Regelung verlangt und eine entsprechende Motion Pfisterer angenommen. Dass es besondere Regeln für die Online-Verantwortlichkeit braucht, war auch in der anschliessenden Vernehmlassung zu einer Anpassung des Strafgesetzbuchs unbestritten: Alle politischen Parteien und 21 Kantone befürworteten eine Regelung, welche die Rechtslage wenigstens im Strafrecht klärt. Dennoch ist der Bundesrat nicht bereit zu handeln.
Stellungnahme des Bundesrats
Es trifft zu, dass weder das Straf- noch das Zivilrecht betreffend Verantwortlichkeit der Provider eine spezifische Regelung enthalten. Das bedeutet aber nicht, dass in der Schweiz deswegen Rechtsunsicherheit herrscht.
Bezüglich der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Provider hat der Bundesrat, gestützt auf den Bericht der Expertenkommission “Netzwerkkriminalität”, im Dezember 2004 einen Vorentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuchs (StGB) beziehungsweise des Militärstrafgesetzes (MStG)in die Vernehmlassung geschickt. Zwar befürwortete grundsätzlich eine Mehrheit der Vernehmlasser ei-ne ausdrückliche Regelung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Provider, darunter auch die von der Motionärin erwähnte Anzahl von 21 Kantonen und alle politischen Parteien. Gleichzeitig wurde aber die vorgeschlagene Regelung im Einzelnen sehr kontrovers beurteilt. Gestützt auf die Vernehmlassungsergebnisse hat der Bundesrat aus den in seinem Bericht vom Februar 2008 im Einzelnen dargelegten Gründen beschlossen, auf eine Regelung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit zu verzichten, in der Überzeugung, dass auf der Grundlage des Medienstrafrechts (Art. 28ff. StGB/Art. 27ff. MStG) und der allgemeinen Grundsätze über Täterschaft und Teilnahme (Art. 24ff. StGB/Art. 23ff. MStG) sachgerechte Lösungen möglich sind. Eine bessere Bekämpfung der Netzwerkkriminalität wäre mit den im Vorentwurf vorgeschlagenen Normen nicht möglich gewesen, aber ebenso wenig mit einem geänderten Entwurf, der bloss neue Auslegungsfragen aufgeworfen hätte. Bis heute haben sich für schweizerische Unternehmen keine Wettbewerbs- und Standortnachteile eingestellt. Auch die Befürchtung, dass die Rechtssicherheit durch widersprüchliche Urteile beeinträchtigt werden könnte, hat sich nicht bestätigt. Der Bundesrat hat zwar auf eine explizite Regelung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit verzichtet, aber gleichzeitig für die effiziente Bekämpfung der Netzwerkkriminalität wichtige Entscheide getroffen. So beschloss er, die Ressourcen für das Monitoring gewaltextremistischer Webseiten beim Nachrichtendienst aufzubauen, die Zusammenarbeit mit den Kantonen und dem Ausland bei der Strafverfolgung zu verbessern und die Cybercrime-Konvention des Europarates zu ratifizieren.
Bezüglich der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit der Provider haften die Anbieter von Internetdienstleistungen nach den gleichen Grundsätzen wie die Anbieter anderer Dienstleistungen. Schadenersatzpflichtig werden sie gemäss Obligationenrecht (OR), wenn sie einem anderen widerrechtlich Schaden zufügen, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit (Art. 41 Abs. 1 OR). Der Bundesrat ist nach wie vor der Meinung, dass sich der rechtliche Rahmen bewährt hat und genügend rechtssicher ist. Ein Sonderrecht für die Provider könnte kaum Vorteile bringen. Im besten Fall käme es zu einer Kodifikation der bisherigen Doktrin und (spärlichen) Praxis. Im schlimmsten Fall drohte den Providern eine Verschärfung der Haftung. Eine solche aber liegt weder im Interesse der Provider noch in jenem des Wirtschaftsstandorts Schweiz.
Der Bundesrat hatte mehrfach Gelegenheit, seine Strategie im Kampf gegen die Netzwerkkriminalität zu erläutern, so anlässlich der Kenntnisnahme seines Berichtes vom Februar 2008 durch die Kommissionen für Rechtsfragen des Nationalrates und des Ständerates; ein weiteres Mal in seinen Antworten zu den Motionen Büchler 07.3510, “Strafrechliche Schritte gegen Cyberkriminalität”, und 07.3509, “Rechtssicherheit für Anbieter von Internetdienstleistungen”. Der Nationalrat stimmte der Strategie des Bundesrates im Kampf gegen die Netzwerkkriminalität anlässlich der Sondersession im Juni 2009 zu und lehnte die Motion Büchler 07.3510 mit deutlicher Mehrheit ab. Gleichzeitig nahm er als Zweitrat die Motion Burkhalter 08.3100, “Nationale Strategie zur Bekämpfung der Internetkriminalität”, an und verpflichtete den Bundesrat, in Zusammenarbeit mit den Kantonen und der Wirtschaft insbesondere in den Bereichen Spionage und Datenmissbrauch seine Strategie zu konkretisieren. Die Motion Büchler 07.3509 wurde im Juni 2009 abgeschrieben, weil sie seit mehr als zwei Jahren hängig war.
Da unter dem geltenden Recht negative Folgen weder für die Providerbranche noch für die Strafverfolgung eingetreten sind, ist ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf auch aus heutiger Sicht zu verneinen.