NZZ vom 17.3.2016: Interview mit dem neuen EDÖB Adrian Lobsiger
Auch der Staat sammelt Daten – Sie haben das Bundesamt für Polizei erwähnt, dessen stellvertretender Direktor Sie sind. Sind Warnungen vor zu grosser Sammelwut der Polizei berechtigt?
Aufgrund meiner Erfahrungen unterscheidet sich die Interessenlage der Polizei häufig gar nicht so sehr von jener des Datenschutzes: Eine intelligente Polizei sammelt nicht möglichst viele, sondern die relevanten Informationen. Die amerikanische Polizeikultur ist beispielsweise weit stärker vom Datensammeln geprägt als unsere. Dennoch resultieren daraus nicht mehr Strafverfahren, sondern oft sogar weniger.Dahinter steht letztlich die Frage, was höher zu gewichten ist: die Freiheit oder die Sicherheit?
Eindeutig die Freiheit. Es gibt in einem liberalen Rechtsstaat ein Grundrecht auf Freiheit. Aber es gibt kein Grundrecht auf Sicherheit. Sicherheit ist wohl eine wichtige staatliche Aufgabe, aber auch besondere Bedrohungslagen oder selbst mögliche Anschläge vermögen nichts am fehlenden Grundrechtscharakter der Sicherheit zu ändern. Freiheit ist immer mit Risiken verbunden.
Aber es gibt auch keine Freiheit ohne Sicherheit.
Ohne Essen gibt es auch keine Freiheit, weil die Leute dann sterben würden. Dennoch gibt es kein Grundrecht spezifisch auf Nahrung oder Kleidung. Wollte man die Sicherheit als Grundrecht definieren, würde es in grundrechtlicher Hinsicht hinnehmbar, in extremen Sicherheitslagen in nordkoreanischen Verhältnissen und ohne jegliche Freiheit dahinzuvegetieren. Das aber genau will unsere Verfassung verhindern. Dagegen ist es durchaus vorstellbar, in einem unsicheren, aber freien Land zu leben.
…
Das Datenschutzgesetz befindet sich derzeit in Revision. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Ziele?
Das Allerwichtigste ist, dass das Gesetz technologieneutral formuliert bleibt. Wir dürfen nicht Gesetze für einzelne Technologien machen, von denen wir nicht wissen, wie sie sich entwickeln. Technologie- und anwendungsspezifische Details müssen auf tieferer Ebene geregelt werden. Sonst haben wir ein Gesetz mit Hunderten von Artikeln, die der Entwicklung immer hinterherhinken und revidiert werden müssen.