OGer ZH: “Offen­ba­rung” eines Geheim­nis­ses doch schon bei Mög­lich­keit der Kenntnisnahme?

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Das Zür­cher Ober­ge­richt hat­te in einer Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen einem Kli­en­ten und sei­ner ehe­ma­li­gen Anwäl­tin eine angeb­li­che Ver­let­zung des Berufs­ge­heim­nis­ses zu beur­tei­len. In sei­nem Beschluss UE190028‑O vom 27. Dezem­ber 2019 hält es dabei – ohne sich mit der Fra­ge näher aus­ein­an­der­set­zen zu müs­sen – zur “Offen­ba­rung” i.S.v. Art. 321 Abs. 1 StGB fol­gen­des fest:

Das Tat­be­stands­merk­mal des Offen­ba­rens ist erfüllt, wenn der Täter die ver­trau­li­che Tat­sa­che nicht ermäch­tig­ten Dritt­per­so­nen zur Kennt­nis bringt oder die­sen die Kennt­nis­nah­me ermög­licht.

Damit setzt sich das Ober­ge­richt in Wider­spruch zur neue­ren Recht­spre­chung des Bun­des­ge­richts und ihr fol­gend der wohl herr­schen­den Leh­re. Im Urteil 6B_1403/2017 ist das Bun­des­ge­richt von der Auf­fas­sung, die Offen­ba­rung sei bereits mit der Mög­lich­keit der Kennt­nis­nah­me voll­endet, aus­drück­lich abge­rückt. Erfor­der­lich sei viel­mehr die tat­säch­li­che Kennt­nis­nah­me durch den Dritten:

1.2.2. Nach Art. 162 StGB macht sich unter ande­rem straf­bar, wer ein Fabri­ka­ti­ons- oder Geschäfts­ge­heim­nis, das er infol­ge einer gesetz­li­chen oder ver­trag­li­chen Pflicht bewah­ren soll­te, ver­rät. Die Tat­hand­lung ist die­sel­be wie bei den Tat­be­stän­den der Ver­let­zung des Amts­ge­heim­nis­ses (Art. 320 StGB) oder des Berufs­ge­heim­nis­ses (Art. 321 StGB). In dem von der Vor­in­stanz erwähn­ten BGE 142 IV 65 E. 5.1 hat das Bun­des­ge­richt erwo­gen, dass ein Geheim­nis offen­bart, wer es einer dazu nicht ermäch­tig­ten Dritt­per­son zur Kennt­nis bringt oder die­ser die Kennt­nis­nah­me ermög­licht. Es han­delt sich hier­bei um eine blo­sse Umschrei­bung des straf­ba­ren Ver­hal­tens, wor­aus – ent­ge­gen der Mei­nung der Vor­in­stanz – nichts zum Zeit­punkt der Voll­endung der Tat abge­lei­tet wer­den kann. Viel­mehr ist in die­ser Fra­ge der Leh­re zu fol­gen, wonach die Tat voll­endet ist, sobald ein Aussen­ste­hen­der dank dem Ver­hal­ten des Täters Kennt­nis vom betref­fen­den Geheim­nis erhält. Straf­ba­rer Ver­such wäre ins­be­son­de­re dann anzu­neh­men, wenn der Täter Infor­ma­tio­nen für einen Drit­ten zugäng­lich gemacht hat, die­ser aber vom Geheim­nis noch kei­ne Kennt­nis genom­men hat […].

Ent­spre­chend wer­den Geheim­nis­ver­let­zun­gen heu­te als Erfolgs­de­lik­te ver­stan­den. Dass das Ober­ge­richt bewusst von die­ser Auf­fas­sung abwei­chen woll­te, lässt sich sei­nem Beschluss aller­dings nicht ent­neh­men. Die Fra­ge war letzt­lich auch nicht enscheid­re­le­vant, weil eine aus­rei­chen­de Ent­bin­dungs­er­klä­rung des Kli­en­ten vorlag.

Inter­es­sant ist fer­ner eine Rand­be­mer­kung des Ober­ge­richts zur aus­drück­li­chen Ein­wil­li­gung:

Dar­über hin­aus ist der Ent­bin­dungs­er­klä­rung dem Wort­laut nach hin­sicht­lich des Inhalts bzw. Umfangs oder der Natur der ver­trau­li­chen bzw. zu offen­ba­ren­den Infor­ma­tio­nen kei­ne Ein­schrän­kung zu ent­neh­men. Inso­fern liegt – ent­ge­gen der vom Beschwer­de­füh­rer ver­tre­te­nen Ansicht […] – eine aus­drück­li­che Ein­wil­li­gung des Betrof­fe­nen zur Bekannt­ga­be von
beson­ders schüt­zens­wer­ten Per­so­nen­da­ten i. S. v. Art. 4 Abs. 5 DSG vor.

Das Ober­ge­richt scheint für die Aus­drück­lich­keit i.S.v. Art. 4 Abs. 5 DSG dem­nach nicht zu ver­lan­gen, dass sich der Inhalt der Erklä­rung aus­drück­lich auf beson­ders schüt­zens­wer­te Per­so­nen­da­ten bezieht, son­dern lässt es genü­gen, dass die Ent­bin­dungs­er­klä­rung im Sin­ne eines Vor­gangs aus­drück­lich und nicht kon­klu­dent erfolgt ist.

Auch hier hat sich das Ober­ge­richt aller­dings nicht näher mit der Fra­ge der Aus­drück­lich­keit auseinandergesetzt.