Das Bundesstrafgericht (BStrGer) hat am 9. Mai 2018 ein Urteil zu Art. 271 StGB gefällt (SK.2017.64) und sich dazu zu einigen strittigen bzw. unklaren Punkten geäussert. Das Urteil ist nicht rechtskräftig (vgl. hier).
Hintergrund
Das relevante Verhalten steht vor dem Hintergrund des US-Steuerstreits. Ein Vermögensverwalter – die B. AG – hatte im Sommer 2012 von einer Anwaltskanzlei und einem Mitarbeiter ein Dossier zu in den USA möglicherweise steuerpflichtigen Kunden zusammenstellen lassen. Im Oktober 2012 zeigte sich die B. AG in den USA selbst an. Im Sommer 2013 schlug die B. AG dem DOJ vor, sich auf dem Rechts- bzw. Amtshilfeweg um Herausgabe der Kundendossiers zu bemühen, was das DOJ ablehnte. Im November 2013 reiste der VRP der B. AG in die USA und übergab das Dossier auf einem USB-Stick dem US-Anwalt der B. AG, der den Stick ans DOJ weitergab.
Aus Sicht der Bundesanwaltschaft verletzte der VRP der B. AG dadurch Art. 271 StGB (verbotene Handlungen für einen fremden Staat). Das BStrGer folgt der BA in Bezug auf den objektiven Tatbestand, sprach den Beschuldigten aber frei, weil der subjektive Tatbestand fehle:
Objektiver Tatbestand
Informationsbeschaffung
Das BStrGer prüfte zunächst die Tatbestandsmässigkeit der Zusammenstellung des Dossiers. Hier schliesst sich das Gericht folgender Lehrmeinung an:
Im Schrifttum wird die Meinung vertreten, dass die Informationsbeschaffung nicht tatbestandsmässig sei, wenn eine solche auch für ein Verfahren vor Schweizer Behörden zulässig wäre (ROSENTHAL, in: Rosenthal/Jöhri, Handkommentar zum Datenschutzgesetz, 2008, Art. 271 StGB N 29; HUSMANN, a.a.O., N 34). Dieser Auffassung kann in Bezug auf Konstellationen gefolgt werden, in denen die Person, welche die betreffenden Daten beschafft, an diesen berechtigt ist. Soweit eine Informationsbeschaffung durch eine interne Untersuchung erfolgt und keine Unterlagen von Dritten beschafft werden, liegt demgemäss in objektiver Hinsicht kein tatbestandsmässiges Verhalten im Sinne von Art. 271 Ziff. 1 StGB vor.
Vorliegend sei die B. AG an den fraglichen Daten berechtigt, weil die Unterlagen “im Rahmen der B. AG und deren Tochtergesellschaften” beschafft und von der beauftragten Kanzlei und einem eigenen Mitarbeiter bearbeitet wurden. Im übrigen fehle es hier auch am subjektiven Tatbestand, weil zur Zeit der Informationsbeschaffung nicht die Absicht bestanden hatte, die Unterlagen ohne Bewilligung dem DOJ zu übermitteln.
Informationsbekanntgabe
Demgegenüber sah das BStrGer den Tatbestand von Art. 271 StGB in objektiver Hinsicht durch die Übergabe des Dossiers zuhanden des DOJ als erfüllt an:
- Die Freiwilligkeit der Herausgabe schliesse den Tatbestand entgegen der entsprechenden Lehrmeinung generell nicht aus, aus zwei Gründen: (i) Im Wortlaut von Art. 271 StGB finde sich dafür keine Stütze, und (ii) Art. 271 StGB schütze die schweizerische Souveränität, weshalb die Zulässigkeit der Herausgabe ausserhalb des Amts- bzw. Rechtshilfewegs nicht im Belieben eines Privaten stehen könne.
- Die Herausgabe stelle ferner eine hoheitliche Handlung dar, wenn die Herausgabe aus schweizerischer Optik nur auf hoheitliche Anordnung hin rechtmässig ist. Zulässig sei dagegen die freiwillige Herausgabe von Informationen für ein ausländisches Beweisverfahren in Zivil- und Handelssachen. Allerdings gelte dies nicht, wenn Informationen herausgegeben werden, die “durch den ordre public der Schweiz geschützt werden”, was bei Personendaten Dritter der Fall sein könne:
Tatbestandsmässig im Sinne von Art. 271 StGB verhält sich demnach insbesondere, wer Dritte betreffende Informationen, die vom schweizerischen ordre public geschützt sind, an eine ausländische Behörde ausserhalb des Amts- oder Rechtshilfewegs bzw. ohne Bewilligung herausgibt.
- Zum ordre public gehöre dem Grundsatz nach auch das schweizerische Bankgeheimnis, und die B. AG sei vertraglich gehalten gewesen, das Bankgeheimnis zu wahren. Demnach fielen die dem DOJ übergebenen Daten dem ordre public. Dies sei selbst bei einer Einwilligung der Bankkunden der Fall, angesichts des geschützten Rechtsguts (das BStrGer äussert sich hier allerdings nicht näher zur Frage, ob der ordre public Bankkunden wirklich auch dann schützt, wenn diese auf den Schutz freiwillig verzichten).
- Die Tathandlung sei überdies teilweise in der Schweiz erfolgt, nämlich mit Reisebeginn.
- Offengelassen wurde dagegen, ob Art. 271 StGB auch erfüllt sein kann, (i) wenn sich die fraglichen Daten bereits im Ausland befinden (so Graf, GesKR 2016, 179) oder (ii) wenn der Zugriff auf die fraglichen Informationen aus dem Ausland möglich wäre (so Rosenthal, Handkomm, Art. 271 N 35; er nennt das Beispiel eines Servers in der Schweiz, auf den vom Ausland aus unabhängig vom konkreten Verfahren zugegriffen werden kann, z.B. im Konzernverbund). Diese Konstellationen seien vorliegend nicht erfüllt, und zwar auch nicht für einzelne Daten, die für das Dossier im Ausland beschafft worden waren, denn durch die Aufnahme ins Dossier seien diese Daten “insgesamt als genuin aus der Schweiz stammend” zu betrachten (mit anderen Worten beurteilt das BStrGer die Bestimmung der Daten hier nicht zum Zeitpunkt der Beschaffung, sondern zum Zeitpunkt der späteren Bekanntgabe).
Subjektiver Tatbestand
Nicht erfüllt sei dagegen der subjektive Tatbestand. Verlangt wäre (Eventual-)Vorsatz (Art. 12 Abs. 1 StGB). Allerdings stelle dabei das Wissen über die Verbotenheit des Verhaltens ein “rechtlich geprägtes subjektives Tatbestandsmerkmal” dar. Infolgedessen schliesse ein Irrtum über die Rechtswidrigkeit den subjektiven Tatbestand aus, und zwar selbst dann, wenn der Irrtum vermeidbar gewesen wäre.
Das treffe hier zu. Der Beschuldigte hatte sich auf zwei Rechtsgutachten gestützt. Beide Gutachten waren zwar aus unterschiedlichen Gründen nur eingeschränkt belastbar. Dennoch sei es glaubhaft, dass der Beschuldigte aufgrund des Renommees der Experten von der Rechtmässigkeit seines Vorgehens ausgegangen war.