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VG Ber­lin: Unzu­mut­ba­re Aus­kunft über Video­auf­nah­men; Per­so­nen­be­zug der Auf­nah­men (offen­ge­las­sen)

Das Ver­wal­tungs­ge­richt Ber­lin (VG Ber­lin) hat mit Urteil vom 12. Okto­ber 2023 (1 K 562/21) die Ver­wei­ge­rung einer Aus­kunft nach Art. 15 DSGVO geschützt. Ein Pas­sa­gier der Ber­li­ner S‑Bahn hat­te nach Art. 15 DSGVO Aus­kunft über Video­auf­zeich­nun­gen von ihm ver­langt. Die S‑Bahn hat­te die Aus­kunft ver­wei­gert, u.a. weil kei­ne Iden­ti­fi­zie­rung der auf­ge­nom­me­nen Per­so­nen erfol­ge und eine Iden­ti­fi­zie­rung des Pas­sa­giers mit der von ihm gelie­fer­ten Beschrei­bung auch nicht mög­lich sei.

Das Amts­ge­richt Pan­kow als Vor­in­stanz hat­te die Aus­kunft ver­wei­gert bzw. eine Ver­let­zung des Aus­kunfts­rechts ver­neint und einen ent­spre­chen­den Scha­den­er­satz­an­spruch abgelehnt:

Zwar sehe Art. 12 ff. DSGVO kei­ne Aus­nah­me wegen Unzu­mut­bar­keit vor, aber der Rechts­ge­dan­ke von § 275 Abs. 2 BGB gel­te all­ge­mein (“Der Schuld­ner kann die Lei­stung ver­wei­gern, soweit die­se einen Auf­wand erfor­dert, der unter Beach­tung des Inhalts des Schuld­ver­hält­nis­ses und der Gebo­te von Treu und Glau­ben in einem gro­ben Miss­ver­hält­nis zu dem Lei­stungs­in­ter­es­se des Gläu­bi­gers steht. […]”), und er sei auch im Erwä­gungs­grund 62 ent­hal­ten (“Die Pflicht, Infor­ma­tio­nen zur Ver­fü­gung zu stel­len, erüb­rigt sich jedoch, wenn […] sich die Unter­rich­tung der betrof­fe­nen Per­son als unmög­lich erweist oder mit unver­hält­nis­mä­ßig hohem Auf­wand ver­bun­den ist […]”).

Auch aus dem Gebot von Treu und Glau­ben – das auf­grund der Char­ta und Art. 5 Abs. 1 DSGVO all­ge­mein gel­te – fol­ge ein Ver­wei­ge­rungs­recht, wenn eine Lei­stung in einem gro­ben Miss­ver­hält­nis zum Inter­es­se des Gläu­bi­gers ste­he. Vor­lie­gend spiel­te dabei eine Rol­le, dass der Pas­sa­gier den Zweck des Aus­kunfts­be­geh­rens nicht genannt hat­te; das spre­che für ein gerin­ges Infor­ma­ti­ons­in­ter­es­se.

Das VG Ber­lin zwei­felt fer­ner, dass die Auf­zeich­nun­gen über­haupt per­so­nen­be­zo­ge­ne Daten dar­stel­len, liess die Fra­ge aber offen. Grund­sätz­lich erschei­nen sie zwar als personenbezogen:

Zwar dürf­ten die Auf­zeich­nun­gen von Per­so­nen durch Video­über­wa­chungs­ka­me­ras jeden­falls bei abstrak­ter Betrach­tungs­wei­se per­so­nen­be­zo­ge­ne Daten i.S.d. Art. 4 Nr. 1 DSGVO dar­stel­len. Hier­für spricht schon, dass die Daten gera­de erfasst und gespei­chert wer­den, um Per­so­nen gege­be­nen­falls iden­ti­fi­zie­ren zu kön­nen. Auch der Gesetz­ge­ber geht in § 20 Abs. 1 BlnDSG davon aus, dass im Rah­men der Video­über­wa­chung öffent­lich zugäng­li­cher Räu­me per­so­nen­be­zo­ge­ne Daten erfasst und ver­ar­bei­tet werden.

Eine sol­che Betrach­tung sei aber wohl zu abstrakt:

Gegen eine rein abstrak­te Betrach­tungs­wei­se spricht aller­dings, dass nach der Legal­de­fi­ni­ti­on in Art. 4 Nr. 1 DSGVO “eine Per­son” als iden­ti­fi­zier­bar ange­se­hen wird, die “iden­ti­fi­ziert wer­den kann”. Für eine Ein­stu­fung von Daten als per­so­nen­be­zo­gen wird daher auch ein kon­kret-sub­jek­ti­ves Moment ver­langt, d.h. dar­auf abge­stellt, ob die Per­son, auf die sich die Daten bezie­hen, für den Ver­ant­wort­li­chen tat­säch­lich ermit­tel­bar ist, wobei alle Mit­tel zu berück­sich­ti­gen sind, die von ihm hier­für nach all­ge­mei­nem Ermes­sen wahr­schein­lich ver­wen­det wer­den kön­nen. Ist dem Ver­ant­wort­li­chen eine Iden­ti­fi­ka­ti­on danach nicht mög­lich, soll ein Per­so­nen­be­zug nicht gege­ben, son­dern sol­len die Daten (für ihn) anonym sein, auch wenn einem Drit­ten, des­sen Zugriff auf die Daten aber unwahr­schein­lich ist, die Iden­ti­fi­ka­ti­on mög­lich wäre […]. Hier­von aus­ge­hend spricht wie­der­um Eini­ges dafür, dass die Auf­zeich­nung der im Rah­men der Video­über­wa­chung in den S‑Bahnen erfass­ten Per­so­nen jeden­falls für die Klä­ge­rin kei­ne per­so­nen­be­zo­ge­nen Daten dar­stel­len, weil mit den ihr bei lebens­na­her Betrach­tung zur Ver­fü­gung ste­hen­den Mit­teln eine Iden­ti­fi­ka­ti­on der Per­so­nen nicht mög­lich sein dürfte.

In der PinG 1/2024 kri­ti­sie­ren Mül­ler-Pelt­zer, Selz und Sur­ja­di die­se Anwen­dung des Rechts­miss­brauchs­ver­bots. Ihnen zufol­ge hät­te die Ver­wei­ge­rung eher damit begrün­det wer­den müs­sen, dass die Video­auf­nah­men nach dem anwend­ba­ren Recht nach 48 Stun­den zu löschen sind. Die – vom Klä­ger ver­lang­te – län­ge­re Spei­che­rung zwecks Beaus­kunftung hät­te die Rech­te der ande­ren Pas­sa­gie­re beein­träch­tigt, was Art. 15 Abs. 4 DSGVO widerspricht.

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