Interpellation Recordon (13.3702): Fernmeldeüberwachung durch Strafverfolgungsbehörden. Wie lange noch?
Erledigt (11.12.2013)
Eingereichter Text
Der Bundesrat wird beauftragt, folgende Fragen zu beantworten.
1. Das Justizwesen steckt in einem grossen Dilemma, das durch das ISS-System (Interception System Schweiz) zur Fernmeldeüberwachung durch Strafverfolgungsbehörden verursacht wird. Hat der Bundesrat dessen Ausmass und dessen immer weiter reichende Konsequenzen erkannt?
2. Ist er bereit, unverzüglich zu einem anderen System zu wechseln, das sich bewährt hat und zweckmässig ist?
3. Ist er bereit, für die Anbieterinnen von Fernmeldediensten ein Entschädigungssystem zu wählen, das in einer vernünftigen Grössenordnung liegt, dessen Verwaltung nicht zu aufwendig ist und das die Polizei und die Strafverfolgungsbehörden nicht benachteiligt?
Begründung
Das Andauern und die Kosten des schweizerischen Systems zur Fernmeldeüberwachung durch Strafverfolgungsbehörden beunruhigen von Tag zu Tag mehr. Aus unerfindlichen Gründen wurde dieses System demjenigen des ursprünglich günstigeren Konkurrenten vorgezogen. Es hat sich zudem nicht durch Erfahrungen im Ausland bewährt und wurde “à la carte” auf die schweizerischen Besonderheiten zugeschnitten. Darüber hinaus ist es kompliziert angesichts der unglaublichen Forderungen bei der Rechnungsstellung der Einsätze an die Justiz. Dieses System ist nach drei Jahre andauernden Bemühungen immer noch nicht einsatzfähig, und die Strafverfolgungsbehörden und die Polizei könnten ohne wirksames Instrument zum Abfangen von Kommunikation in der organisierten Kriminalität, insbesondere im Drogenhandel, dastehen.
Die Situation ist so nicht mehr hinnehmbar. Einfache und effiziente Lösungen existieren jedoch: Die Niederlande haben sich z. B. an einen anderen Softwareanbieter gewandt, mit dessen Produkt – sehr zur Zufriedenheit der Polizei und der Staatsanwaltschaft – die IP sowohl im Festnetz als auch im Mobilfunk abgefangen werden kann. Darüber hinaus sieht das Gesetz in diesem Land vor, dass Fernmeldedienstanbieterinnen sicherstellen müssen, dass das Abhören möglich ist, bevor sie neue Telefondienste oder andere Dienste auf den Markt bringen. Die Kosten der Abhörmassnahmen wurden zunächst mit 25 Euro pro Einheit berechnet, dann wurde – um damit einhergehenden überflüssigen Verwaltungsaufwand zu vermeiden – entschieden, die Massnahmen pauschal zu entgelten und einen auf Erfahrungswerten beruhenden jährlichen Festbetrag zu zahlen, der offenbar in der Grössenordnung von 10 Millionen Euro liegt. Diese Summe wird unter den Fernmeldedienstanbieterinnen aufgeteilt und kann um 10 Prozent reduziert werden, wenn die erbrachten Leistungen nicht ausreichend waren. Es ist absurd, dass das schweizerische Strafverfolgungswesen vergleichsweise weit höhere Kosten zu tragen hat, die de facto der Wirksamkeit des Kampfes gegen die Kriminalität, insbesondere gegen Schwarzgeld, schaden, was vor allem kriminelle Organisationen sicherlich freut.
Stellungnahme des Bundesrats
1. Der Bundesrat ist sich bewusst, dass ein funktionierendes Informatiksystem für die Sicherstellung der Fernmeldeüberwachung und damit für eine effiziente Strafverfolgung zentral ist. Er wurde laufend über die Schwierigkeiten im Projekt Interception System Schweiz (ISS) und die getroffenen Massnahmen informiert. Im Vordergrund standen in jüngster Zeit Verbesserungen in der Projektorganisation, eine engere Zusammenarbeit mit den Kantonen, den Strafverfolgungs- und Polizeibehörden sowie den Fernmeldedienstanbieterinnen, die Bereinigung der Vertragssituation mit der Auftragnehmerin sowie die Durchführung von Tests, die Prüfung von möglichen Architekturmängeln und die Evaluation eines Alternativsystems für den Fall, dass das Projekt mit der aktuellen Systemlieferantin nicht erfolgreich abgeschlossen werden kann.
2. Gestützt auf die erwähnten Massnahmen und Arbeiten hat das Lenkungsgremium Fernmeldeüberwachung bestehend aus dem EJPD, den Staatsanwaltschaften, der Polizei und den Fernmeldedienstanbieterinnen am 20. September 2013 im Einvernehmen mit der Departementsleitung beschlossen, das Projekt ISS mit einer anderen Anbieterin weiterzuführen und das in der Zwischenzeit evaluierte Alternativsystem zu beschaffen. Dieses Alternativsystem wird von der Lieferantin des heutigen Systems LIS hergestellt, welche mit den schweizerischen Gegebenheiten bestens vertraut ist. Das System ist erprobt und läuft bereits in anderen Ländern. Zu diesem Schluss kam auch eine paritätisch zusammengesetzte Expertengruppe bei einem Referenzbesuch in einem dieser Länder.
3. Der Bundesrat hat sich, nachdem früher auch die Möglichkeit in Betracht gezogen wurde, die Entschädigungen zugunsten der Fernmeldedienstanbieterinnen ersatzlos aufzuheben, für ein Entschädigungsmodell entschieden. Es wird in der Botschaft zur Totalrevision des Büpf, welche am 27. Februar 2013 ans Parlament überwiesen wurde, dargestellt und entspricht weitgehend dem heutigen Gebühren- und Entschädigungsmodell. Die Fernmeldedienstanbieterinnen müssen die Investitionskosten (Infrastruktur und Systeme) selber tragen. Für die Betriebskosten erhalten sie demgegenüber eine Entschädigung pro Überwachung. Diese Entschädigung ist allerdings nicht kostendeckend. Die anordnende Behörde, die den Überwachungsauftrag erteilt hat, entrichtet die für die Überwachung anfallenden Gebühren. Diese Überwachungsgebühren können wie die übrigen Prozesskosten grundsätzlich der beschuldigten Person auferlegt werden, sofern sie verurteilt wird. Die effektive Höhe der Gebühren und Entschädigungen wird vom Bundesrat in einer Verordnung festgelegt.