datenrecht.ch

Wildhaber/Ebert: Rechts­gut­ach­ten zur “Betei­li­gung der Arbeit­neh­men­den am Arbeitsplatz”

Prof. Dr. Isa­bel­le Wild­ha­ber und Dr. Isa­bel Ebert haben im Auf­trag der Gewerk­schaft syn­d­icom und mit Pro­jekt­lei­tung von Algo­rith­m­Watch CH ein Rechts­gut­ach­ten zu ADM-Syste­men (für “Auto­ma­ted Decis­i­on-Making”) im Arbeits­be­reich ver­fasst, das hier abruf­bar ist. Die NZZ hat dazu berich­tet.

Das Gut­ach­ten untersucht

  • den aktu­el­len gesetz­li­chen Rah­men in der Schweiz und inter­na­tio­nal auf Ebe­ne der EU (DSGVO, Richt­li­nie 89/391 zum Gesund­heits­schutz der Arbeit­neh­men­den), des Euro­pa­rats (ERK 108, EMRK), der Uno (UNO Pakt I und II, UN Sus­tainable Deve­lo­p­ment Goals, UN Gui­ding Prin­ci­ples on Busi­ness and Human Rights), der ILO (ILO-Ük 155 und 187), der OECD (Leit­sät­ze für mul­ti­na­tio­na­le Unter­neh­men, Emp­feh­lun­gen zum Ein­satz von Künst­li­cher Intel­li­genz) für den Ein­satz von ADV-Syste­men, die Rege­lung der Mit­spra­che der Mit­ar­bei­ten­den und ihrer Ver­tre­tun­gen und die ein­schlä­gi­gen Gerichtsfälle,
  • und den gesetz­li­chen Hand­lungs­be­darf beim Ein­satz von ADM-Systemen.

Die Gut­ach­te­rin­nen dia­gno­sti­zie­ren Lücken insbesondere

  • beim Mit­wir­kungs­ge­setz (MitwG), das zu wenig bekannt sei, kei­ne Sank­tio­nen vor­sieht, eine Kün­di­gung aus wirt­schaft­li­chen Grün­den nicht ver­hin­dert (das wird offen­bar als Lücke des MitwG auf­ge­fasst) und nicht aus­rei­chend klärt, wann ADM-Syste­me einen Gesund­heits­be­zug haben (und damit der Mit­wir­kung unterliegen);
  • bei der Betei­li­gung der Gewerk­schaf­ten, die von den kol­lek­tiv­recht­li­chen Instru­men­ten nicht aus­rei­chend Gebrauch machen;
  • bei der indi­vi­du­el­len Rechts­durch­set­zung, weil die Betrof­fe­nen “im Kon­text Über­wa­chung und Dis­kri­mi­nie­rung” mit den “struk­tu­rell-syste­mi­schen” Aus­wir­kun­gen von ADM-Syste­men oft nicht indi­vi­du­ell iden­ti­fi­zier­bar sei­en und sowohl mate­ri­ell- als auch ver­fah­rens­recht­li­che Hür­den zu über­win­den sind;
  • bei der kol­lek­ti­ven Rechts­durch­set­zung ex post, weil das DSG trotz der Ver­fü­gungs­kom­pe­tenz des EDÖB auf die indi­vi­du­el­le Durch­set­zung aus­ge­legt ist, Arbeits­in­spek­to­ra­te oft erst ein­schrei­ten, wenn ADM-Syste­me gesund­heits­schäd­li­che Wir­kun­gen haben und pro­zess­recht­li­che Bar­rie­ren im Weg stehen.

Zur Behe­bung zumin­dest bestimm­ter Lücken postu­liert das Gut­ach­ten (die NZZ schreibt etwas böse: “wie gewünscht”) auf Geset­zes­ebe­ne fol­gen­de Mass­nah­men, wobei die Gut­ach­te­rin­nen jeweils kon­kre­te Vor­schlä­ge für eine Umset­zung machen:

  • Eine Ver­stär­kung der Rech­te der Arbeit­neh­men­den­ver­tre­tun­gen und ‑ver­bän­de. Ins­be­son­de­re müs­sen Arbeit­ge­ber ver­pflich­tet wer­den, mit­ar­bei­ten­de nicht nur indi­vi­du­ell nach dem DSG, son­dern auch kol­lek­tiv zu infor­mie­ren. Beim Ein­satz von ADM-Syste­men und bei spä­te­ren Ände­run­gen, die nega­ti­ve Wir­kun­gen haben kön­nen, sei­en Infor­ma­ti­ons- und Kon­sul­ta­ti­ons­rech­te sicherzustellen;
  • die Ein­spra­che­mög­lich­kei­ten der Arbeit­neh­men­den und ihrer Ver­tre­tung bei ADM-Syste­men sei­en zu verbessern;
  • es sei­en Struk­tu­ren zur Auf­sicht und Kon­trol­le zu schaf­fen, etwa im Bereich des Risi­ko­ma­nage­ments oder durch Folgenabschätzungen;
  • Lösun­gen mit der Sozi­al­part­ner­schaft sei­en zu erar­bei­ten, bevor über Revi­si­ons­be­stre­bun­gen auf gesetz­li­cher Ebe­ne nach­ge­dacht wird.

Auf Unter­neh­mens­ebe­ne wäre eine Sorg­falts­pflicht der Arbeit­ge­ber in Anleh­nung an die UN Gui­ding Prin­ci­ples on Busi­ness and Human Rights (UNG­Ps) denk­bar, die eine Ein­bin­dung der Stake­hol­der als Teil der Sorg­falts­pflicht fordern.

Das Gut­ach­ten stellt empi­ri­sche Ergeb­nis­se aus der Natio­nal­fonds­stu­die “Big Data or Big Brot­her? – Big Data HR Con­trol Prac­ti­ces and Employee Trust” (März 2017 bis Febru­ar 2021) vor­an. Man fragt sich aber, inwie­fern die Ergeb­nis­se der Stu­die dem Gut­ach­ten tat­säch­lich zugrun­de­ge­legt wer­den kön­nen. Die­se Stu­die hat zwar offen­bar eine Zunah­me von Peo­p­le Ana­ly­tics-Tools erge­ben. Sie hat dabei aber sogar Online-Zufrie­den­heits­um­fra­gen oder Com­pu­ter-basier­te Aus­tritts­be­fra­gun­gen oder Soft­ware zur Steue­rung von Video­ka­me­ras erfasst, also grund­sätz­lich harm­lo­se Mass­nah­men. Gemäss der Dis­ser­ta­ti­on von Gabri­el Kas­per waren fol­gen­de die belieb­te­sten Anwen­dun­gen von Peo­p­le Ana­ly­tics, in die­ser Reihenfolge:

  • web­ba­sier­te Zufriedenheitsumfragen
  • Video-Über­wa­chungs­analagen
  • Aus­tritts­be­fra­gun­gen
  • RFID-Aus­wei­se
  • Feed­back­in­stru­ment

Dem­ge­gen­über kaum genutzt wer­den der­zeit Robo­ter zur Rekru­tie­rung oder Stim­mungs­ana­ly­sen. Schon dies deu­tet kaum auf Hand­lungs­be­darf hin. Das Gut­ach­ten quan­ti­fi­ziert denn auch nicht, wie hoch der Anteil eigent­li­cher ADM-Syste­me inner­halb der Peo­p­le Ana­ly­tics-Tools jeweils war. Gabri­el Kas­per kon­sta­tier­te aber, dass bei Peo­p­le Ana­ly­tics kaum je auto­ma­ti­sier­te Ein­zel­ent­schei­dun­gen im Sin­ne des DSG vorkommen.

Inso­fern kann man nur fest­stel­len, dass das in der Stu­die beschrie­be­ne Pro­blem trotz der dama­li­gen Stu­die schlecht doku­men­tiert ist. Die Ver­bes­se­rungs­vor­schlä­ge kön­nen daher wohl durch­aus Lücken schlie­ssen, aber ob dafür wirk­lich Bedarf besteht, bleibt offen.

Heik­le­re ADM-Tools dürf­ten aber wohl zuneh­mend AI-Syste­me ver­wen­den. Viel­leicht wäre daher erst die Dis­kus­si­on um eine Regu­lie­rung von AI abzu­war­ten, bevor sek­to­ri­ell auf Pro­ble­me reagiert wird.

Behörde

Gebiet

Themen

Ähnliche Beiträge

Newsletter