Die Staats- und Jugendanwaltschaft des Kantons Glarus hatte einen Strafbefehl wegen versuchter einfacher Körperverletzung und Beschimpfung ausgestellt. Zum Beweis der Beschimpfung hatte das Opfer eine CD mit Aufnahmen eingereicht, die offenbar erstellt worden waren, während der Täter im angrenzenden Grundstück Gartenarbeiten verrichtet hatte.
Das Obergericht Glarus weist diese CD aus den Akten (Entscheid OG.2022.00037 vom 28.7.2023). Die Tonaufnahmen waren zwar nicht in strafbarer Weise erstellt worden, weil die Aufnahme kein nicht-öffentliches Gespräch i.S.v. Art. 179bis bzw. 179ter StGB betroffen hatte. Weil das aufgenommene Gespräch über die Quartierstrasse hinweg hörbar war und der Täter nicht davon ausgehen konnte, dass seine Äusserungen nicht auch von Dritten gehört werden konnten, lag auch eine Verletzung des Geheim- oder Privatbereichs i.S.v. Art. 179quater StGB vor (im Anschluss an BGE 146 IV 126 – Praxisänderung).
Die Aufnahmen waren aber datenschutzwidrig: Der Erkennbarkeitsgrundsatz Art. 4 Abs. 4 aDSG (nun implizit in Art. 6 Abs. 3 DSG) war verletzt, und entgegen der Vorinstanz sei diese Verletzung nicht durch überwiegende Interessen gerechtfertigt:
Wenngleich auf Seiten des Datenbearbeiters […] ein privates Interesse auf eine Datenbearbeitung u.a. zur eigenen Sicherheit oder zum Schutz von Rechten durchaus erkannt und anerkannt werden kann […], so steht dem auf der Seite der verletzten Person (hier: des Berufungsklägers) ein bedeutendes öffentliches (und privates) Interesse an einem überwachungsfreien Zustand gegenüber, […] […] steht die hier infrage kommende Aufnahme gerade in einem solchen grösseren Zusammenhang der Beobachtung und Überwachung, um Beweise für ein möglicherweise strafrechtlich relevantes Verhalten seitens des Berufungsklägers zu sammeln […]
Die Rechtsordnung kennt aber den vom Privatkläger sinngemäss angerufenen “Beweisnotstand” nicht […]. Auch in Übereinstimmung mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist der Beweisnotstand als Rechtfertigung zu verneinen (Urteil BGer 6P.79/2006 vom 6. Oktober 2006 E. 8.). Demgegenüber stellen die Rechtmässigkeit der Bearbeitung von Personendaten nach Treu und Glauben im Sinne von Art. 4 DSG die Eckpfeiler des gesamten Datenschutzsystems dar […]. Die Aufnahmen erfolgten gegen Treu und Glauben und waren für den Berufungskläger nicht als solche erkennbar – so scheint er davon ausgegangen zu sein, dass lediglich Fotografien gemacht wurden […]. Damit ist im Gegensatz zur Vorinstanz von keinem überwiegenden Interesse und demnach von einer Rechtswidrigkeit der Aufnahme auszugehen.
Das hätte man auch anders sehen können. Der Hinweis, die Rechtmässigkeit der Bearbeitung sei ein Eckpfeiler, ist richtig, aber kein Kriterium einer Interessenabwägung. Wer in der Nachbarschaft Schimpfworte brüllt, muss wohl davon ausgehen, dass er oder sie aufgenommen werden kann. Offenbar sah das OGer das besondere Interesse des Täters darin, dass sein Opfer mehr oder weniger dauerhaft versucht hatte, Beweise zu erheben, weshalb von einem Interesse an einem “überwachungsfreien Zustand” auszugehen war. Wäre es nur um ein punktuelles Verhalten gegangen, wäre die Abwägung wohl anders ausgefallen.
Weil die zu beurteilenden Anklagepunkte Bagatellen betrafen, in der Wertung des OGer, kam eine Beweisverwertung nicht in Betracht (Art. 141 Abs. 2 StPO: “Beweise, die Strafbehörden in strafbarer Weise oder unter Verletzung von Gültigkeitsvorschriften erhoben haben, dürfen nicht verwertet werden, es sei denn, ihre Verwertung sei zur Aufklärung schwerer Straftaten unerlässlich”).