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EuGH C‑634/21 – Anträ­ge GA: Kre­dit­s­core (der SCHUFA) als auto­ma­ti­sier­te Entscheidung

Am 16. März 2023 hat der Gene­ral­an­walt (GA) des EuGH, Pri­it Pika­mäe, in der Rechts­sa­che C‑634/21 sei­ne Schluss­an­trä­ge vor­ge­legt. Das Ver­fah­ren betrifft den Anwen­dungs­be­reich von Art. 22 DSGVO über auto­ma­ti­sier­te Ent­schei­dun­gen und den Rege­lungs­spiel­raums von EU-Mit­glied­staa­ten beim Scoring. Der GA äusser­te sich aber auch zu zwei wei­te­ren, viel dis­ku­tier­ten Fra­gen zu auto­ma­ti­sier­ten Entscheidungen.

Aus­gangs­la­ge

Die SCHUFA, die bedeu­tend­ste Aus­kunf­tei Deutsch­lands, sam­melt über Unter­neh­men und Pri­vat­per­so­nen boni­täts­re­le­van­te Daten und über­mit­telt sie gegen Ent­gelt u.a. Finanz­in­sti­tu­ten für die Beur­tei­lung der Kre­dit­wür­dig­keit kre­dit­in­ter­es­sier­ter Per­so­nen. Um die­se Beur­tei­lung zu ver­ein­fa­chen, berech­net sie gestützt auf mathe­ma­tisch-sta­ti­sti­sche Ver­fah­ren auto­ma­ti­siert Wahr­schein­lich­keits­wer­te über die Kre­dit­fä­hig­keit (Kre­dit­s­core).

Einer kre­dit­in­ter­es­sier­ten Per­son, «OQ», wur­de gestützt auf den Kre­dit­s­core ein Kre­dit­ver­trag ver­sagt, wor­auf sie ein Löschungs- und Aus­kunfts­be­geh­ren bei der SCHUFA stell­te. Die SCHUFA teil­te OQ ihren Score­wert und in all­ge­mei­ner Form des­sen Berech­nungs­me­tho­de mit, ver­wei­ger­te aber offen­zu­le­gen, wel­che Daten sie für die Berech­nung des Kre­dit­s­cores her­an­ge­zo­gen und wie sie die­se gewich­tet hat­te. Sie berief sich dabei auf Geschäfts­ge­heim­nis­se und wen­de­te ein, dass sie kei­ne auto­ma­ti­sier­ten Ent­schei­dun­gen i.S.v. Art. 22 DSGVO fäl­le, son­dern ledig­lich Finanz­in­sti­tu­ten Infor­ma­tio­nen für deren Ent­schei­dungs­fäl­lung bereit­stel­le. Dar­um bestehe ihr gegen­über kein Anspruch auf Aus­kunft über die invol­vier­te Logik (vgl. Art. 15 Abs. 1 lit. h DSGVO).

Befasst mit einer Kla­ge von OQ hat das Ver­wal­tungs­ge­richt Wies­ba­den dem EuGH zwei Fra­gen zur Vor­ab­ent­schei­dung vorgelegt:

  • Stellt bereits die auto­ma­ti­sier­te Erstel­lung eines Kre­dit­s­cores, den Drit­te einer Ent­schei­dung bspw. über die Begrün­dung eines Ver­trags­ver­hält­nis­ses mass­geb­lich zugrun­de legen, eine auto­ma­ti­sier­te Ent­schei­dung dar?
  • Darf der Gesetz­ge­ber eines EU-Mit­glied­staats über die DSGVO hin­aus­ge­hen­de Anfor­de­run­gen an das Scoring stel­len (vor­lie­gend mit § 31 des deut­schen BDSG, der die Ver­wen­dung eines Wahr­schein­lich­keits­wer­tes regelt)?

Kre­dit­s­core als auto­ma­ti­sier­te Entscheidung 

Zur Klä­rung der ersten Fra­ge unter­teil­te der GA Art. 22 Abs. 1 DSGVO (auf etwas son­der­ba­re Wei­se) in drei Voraussetzungen:

  • Zunächst müs­se eine auto­ma­ti­sier­te Ver­ar­bei­tung per­so­nen­be­zo­ge­ner Daten vor­lie­gen, wovon das Pro­fil­ing eine Unter­ka­te­go­rie bil­de. Wenig über­ra­schend (und zu Recht) qua­li­fi­zier­te der GA das Scoring der SCHUFA als Profiling.
  • Sodann sei eine Rechts­fol­ge oder erheb­li­che Beein­träch­ti­gung der betrof­fe­nen Per­son erfor­der­lich, wobei Art. 22 DSGVO «nur schwer­wie­gen­de Aus­wir­kun­gen» abdecke. In der Situa­ti­on von OQ bestehe, wie der GA etwas vor­schnell schliesst, eine erheb­li­che Beein­träch­ti­gung, zumal Erwä­gungs­grund (EG) 71 der DSGVO die auto­ma­ti­sche Ableh­nung eines Online-Kre­dit­an­trags als typi­sches Bei­spiel einer auto­ma­ti­sier­ten Ent­schei­dung nenne.
  • Die drit­te und vor­lie­gend zen­tra­le Vor­aus­set­zung erfor­de­re erstens eine Ent­schei­dung und zwei­tes, dass die­se aus­schliess­lich auf einer auto­ma­ti­sier­ten Ver­ar­bei­tung beru­he. Die aus­schliess­li­che Auto­ma­ti­sie­rung sei beim Kre­dit­s­coring der SCHUFA gege­ben, es stel­le sich aber die Fra­ge, wo die Ent­schei­dung zu ver­or­ten sei.

Eine Ent­schei­dung impli­ziert gem. GA eine Stel­lung­nah­me zu einem bestimm­ten Sach­ver­halt und müs­se – anders als eine Emp­feh­lung – ver­bind­lich sein. Der Begriff sei weit zu ver­ste­hen, weil es an einer Legal­de­fi­ni­ti­on feh­le. Eine Qua­li­fi­ka­ti­on als Ent­schei­dung set­ze sodann eine Ein­zel­fall­prü­fung u.a. der Schwe­re der Aus­wir­kun­gen auf die betrof­fe­ne Per­son voraus.

Wel­che Hand­lung in Kon­stel­la­tio­nen wie der vor­lie­gen­den die rele­van­te Ent­schei­dung sei – Gewäh­rung oder Ableh­nung eines Kre­dits durch das Finanz­in­sti­tut oder Scoring durch die SCHUFA – sei vom Ein­zel­fall abhän­gig. Mass­geb­lich sei, ob die Ent­schei­dung des Finanz­in­sti­tuts fak­tisch vom Scoring vor­be­stimmt sei, also ob es in sei­ner Ent­schei­dungs­fin­dung dem Kre­dit­s­core gröss­te Bedeu­tung zumesse.

Dies hängt von den inter­nen Regeln und Prak­ti­ken des frag­li­chen Finanz­in­sti­tuts ab, die die­sem im All­ge­mei­nen kei­nen Hand­lungs­spiel­raum bei der Anwen­dung des Score-Wer­tes auf einen Kre­dit­an­trag las­sen dürfen.

Es hand­le sich dabei um eine Tat­sa­chen­fra­ge, die bes­ser das natio­na­le Gericht beur­tei­le. Ange­sichts der Sach­ver­halts­dar­stel­lung des vor­le­gen­den Gerichts, wonach das Finanz­in­sti­tut die Ent­schei­dung zwar nicht allein vom Kre­dit­s­core abhän­gig machen müs­se, dies in aller Regel jedoch mass­geb­lich tue, schätz­te der GA den Kre­dit­s­core aller­dings als «Ent­schei­dung» ein.

Eine ande­re Aus­le­gung wür­de zu einer Rechts­schutz­lücke führen:

Die Aus­kunf­tei, von der die für die betrof­fe­ne Per­son erfor­der­li­chen Infor­ma­tio­nen zu erlan­gen wären, ist nach Art. 15 Abs. 1 Buchst. h DSGVO nicht aus­kunfts­ver­pflich­tet, weil sie vor­geb­lich kei­ne eige­ne «auto­ma­ti­sier­te Ent­schei­dungs­fin­dung» im Sin­ne von Art. 15 Abs. 1 Buchst. h DSGVO betreibt, und das Finanz­in­sti­tut, das sei­ner Ent­schei­dungs­fin­dung den auto­ma­ti­siert erstell­ten Score-Wert zugrun­de legt und nach Art. 15 Abs. 1 Buchst. h DSGVO aus­kunfts­ver­pflich­tet ist, kann die erfor­der­li­chen Infor­ma­tio­nen nicht bereit­stel­len, weil es über sie nicht verfügt.

Folg­lich kön­ne das Finanz­in­sti­tut das Kre­dit­s­coring im Fal­le der Ent­schei­dungs­an­fech­tung nicht über­prü­fen (vgl. Art. 22 Abs. 3 DSGVO) oder eine fai­re, trans­pa­ren­te und nicht dis­kri­mi­nie­ren­de Ver­ar­bei­tung durch geeig­ne­te mathe­ma­ti­sche oder sta­ti­sti­sche Ver­fah­ren gewähr­lei­sten (vgl. EG 71 DSGVO). Auch kön­ne nur die Aus­kunf­tei den übri­gen Betrof­fe­nen­rech­ten, z.B. dem Berich­ti­gungs- oder Löschungs­recht, nachkommen.

Anmer­kun­gen

Bereits die Aus­füh­run­gen zum Begriff der Ent­schei­dung über­zeu­gen nicht. Zunächst ist der Schluss des GA nur von der feh­len­den Legal­de­fi­ni­ti­on auf ein wei­tes Begriffs­ver­ständ­nis falsch. Sodann ver­mengt der GA die Vor­aus­set­zung der Ent­schei­dung mit der bereits bejah­ten erheb­li­chen Beein­träch­ti­gung, wenn er für die Ent­schei­dung eine Ein­zel­fall­prü­fung der Schwe­re der Aus­wir­kun­gen ver­langt. Und schliess­lich bleibt unklar, inwie­fern der Kre­dit­s­core die zuvor ver­lang­te Ver­bind­lich­keit auf­wei­sen und nicht bloss eine Emp­feh­lung sein soll.

Auch die Ver­or­tung der «Ent­schei­dung» bei der Aus­kunf­tei wirft Fra­gen auf. Wie der Hin­weis auf die inter­nen Regeln und Prak­ti­ken des Finanz­in­sti­tuts zeigt, liegt es nicht im Macht­be­reich der Aus­kunf­tei, ob eine Ent­schei­dung Art. 22 DSGVO unter­liegt. Das Finanz­in­sti­tut bestimmt, ob ein Mensch zusätz­li­che Kri­te­ri­en prüft, also kei­ne aus­schliess­li­che Auto­ma­ti­sie­rung vor­liegt, und ob – je nach Anknüp­fung am Score­wert – die Kre­dit­ent­schei­dung posi­tiv oder nega­tiv aus­fällt und mit­hin eine rele­van­te Aus­wir­kung besteht. Die Ent­schei­dung bei der Aus­kunf­tei zu ver­or­ten, führt zum pro­ble­ma­ti­schen Ergeb­nis, dass die­ser abhän­gig vom Ver­hal­ten Drit­ter straf­be­wehr­te Pflich­ten, insb. zur Infor­ma­ti­on und Aus­kunft, auf­er­legt wer­den. Erschwe­rend kommt hin­zu, dass die Aus­kunf­tei die­se inter­nen Vor­ga­ben der Finanz­in­sti­tu­te viel­fach nicht ken­nen wird.

Ausser­dem gibt es die ange­spro­che­ne Rechts­schutz­lücke nicht. Fällt näm­lich das Finanz­in­sti­tut (gestützt auf den Kre­dit­s­core) eine auto­ma­ti­sier­te Ent­schei­dung, trägt es die damit ver­bun­de­nen Pflich­ten, ins­be­son­de­re Aus­kunft über die invol­vier­te Logik zu ertei­len. Eine Aus­nah­me wegen Unmög­lich­keit sieht Art. 15 DSGVO nicht vor. Das Finanz­in­sti­tut kann und muss sich also die für die Erfül­lung des Aus­kunfts­an­spruchs erfor­der­li­chen Infor­ma­tio­nen von der Aus­kunf­tei beschaf­fen. Erteilt das Finanz­in­sti­tut kei­ne Aus­kunft, ris­kiert es ent­spre­chend eine erheb­li­che Geld­bu­sse. Dies wird für Finanz­in­sti­tu­te auch Anreiz genug sein, sich den Zugriff auf die­se Infor­ma­tio­nen von der Aus­kunf­tei ver­trag­lich zusi­chern zu las­sen. Noch viel weni­ger besteht fer­ner eine Rechts­schutz­lücke bei den vom GA ange­spro­che­nen Rech­ten auf Berich­ti­gung und Löschung, wel­che die betrof­fe­ne Per­son ohne­hin gegen­über der Aus­kunf­tei gel­tend machen kann.

Im Gegen­teil öff­net erst die vom GA vor­ge­schla­ge­ne Recht­spre­chung eine Rechts­schutz­lücke. Ste­hen der betrof­fe­nen Per­son näm­lich die Rech­te auf Über­prü­fung und auf Anfech­tung (vgl. Art. 22 Abs. 3 DSGVO) gegen­über der Aus­kunf­tei zu und nicht gegen­über dem Finanz­in­sti­tut, kann sie zwar allen­falls die Ände­rung des Kre­dit­s­cores erwir­ken, ver­liert aber eine Ein­fluss­mög­lich­keit auf die für sie wohl rele­van­te­re Kreditentscheidung.

Immer­hin ist der vom GA impli­zit geäu­sser­ten Ansicht bei­zu­pflich­ten, dass Art. 22 Abs. 1 DSGVO nicht schon das Pro­fil­ing (das eine Rechts­fol­ge oder eine erheb­li­che Beein­träch­ti­gung ver­ur­sacht) erfasst, wie dies die Leh­re zuwei­len ver­tritt. Anson­sten hät­te er sich spa­ren kön­nen, die Ent­schei­dung zu ver­or­ten, nach­dem er das Kre­dit­s­coring als Pro­fil­ing qua­li­fi­ziert und eine erheb­li­che Beein­träch­ti­gung bejaht hatte.

Euro­pa­rechts­kon­for­mi­tät von § 31 BDSG 

Im Rah­men der zwei­ten Vor­la­ge­fra­ge prüf­te der GA rela­tiv umfas­send, ob eine Öff­nungs­klau­sel vor­liegt, also eine Rechts­grund­la­ge für den Erlass einer natio­na­len Bestim­mung wie § 31 BDSG.

Art. 22 Abs. 2 lit. b DSGVO erlau­be zwar eine Aus­nah­me der Beschrän­kun­gen bei auto­ma­ti­sier­ten Ent­schei­dun­gen «auf­grund von Rechts­vor­schrif­ten der Uni­on oder der Mit­glied­staa­ten». Die Bestim­mung kön­ne aber nicht als Rechts­grund­la­ge die­nen, da § 31 BDSG dif­fe­ren­zie­rungs­frei «auch nicht auto­ma­ti­sier­te Ent­schei­dun­gen» erfas­se und die «Ver­wen­dung», nicht die «Erstel­lung» eines Wahr­schein­lich­keits­wer­tes regle.

Eine Öff­nungs­klau­sel kön­ne sich aus Art. 6 Abs. 2 oder Abs. 3 DSGVO erge­ben, bei deren Betrach­tung der GA zum Schluss gelangt,

dass die Mit­glied­staa­ten spe­zi­fi­sche­re Bestim­mun­gen erlas­sen kön­nen, wenn die Ver­ar­bei­tung «zur Erfül­lung einer recht­li­chen Ver­pflich­tung erfor­der­lich [ist], der der Ver­ant­wort­li­che unter­liegt», oder «für die Wahr­neh­mung einer Auf­ga­be erfor­der­lich [ist], die im öffent­li­chen Inter­es­se liegt oder in Aus­übung öffent­li­cher Gewalt erfolgt, die dem Ver­ant­wort­li­chen über­tra­gen wur­de». Die­se Bedin­gun­gen bewir­ken eine enge Begren­zung der Rege­lungs­be­fug­nis der Mit­glied­staa­ten und schlie­ßen damit einen will­kür­li­chen Rück­griff auf die in der DSGVO vor­ge­se­he­nen Öff­nungs­klau­seln aus, der das Ziel der Har­mo­ni­sie­rung des Rechts im Bereich des Schut­zes per­so­nen­be­zo­ge­ner Daten ver­ei­teln könnte.

Eine Ver­pflich­tung zur Erstel­lung eines Score-Wer­tes bestehe im natio­na­len Recht nicht. Zwar hand­le eine Aus­kunf­tei auch im öffent­li­chen Inter­es­se, indem sie etwa zum Schutz der Ver­brau­cher vor Über­schul­dung, der Sta­bi­li­tät des Finanz­sy­stems und zur Ver­bes­se­rung des Zugangs zu Kre­di­ten bei­tra­ge. Jedoch gehe es hier nicht (wie erfor­der­lich wäre) um Zwecke des Gemein­wohls wie öffent­li­che Gesund­heit oder sozia­le Sicher­heit, also klas­si­sche Auf­ga­ben des Staa­tes. Die­se Öff­nungs­klau­seln sei­en daher eben­falls nicht einschlägig.

Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO, die Rechts­grund­la­ge für Daten­ver­ar­bei­tun­gen gestützt auf ein berech­tig­tes Inter­es­se, ent­hal­te sodann kei­ne Öff­nungs­klau­sel und erlau­be den Mit­glied­staa­ten nicht, das berech­tig­te Inter­es­se, wie dies durch § 31 BDSG erfol­ge, zu präzisieren.

Nach Ansicht des GA ist daher davon aus­zu­ge­hen, dass natio­na­le Bestim­mun­gen wie § 31 BDSG nicht mit der DSGVO ver­ein­bar sind. Dies ist eine ver­tret­ba­re Hal­tung, die sich auch in der deut­schen Leh­re fin­det. Trotz der all­fäl­li­gen Unan­wend­bar­keit von § 31 BDSG ist zu ver­mu­ten, dass des­sen Wert­ent­schei­dun­gen bei der Inter­es­sen­ab­wä­gung nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO (in der deut­schen Pra­xis) wei­ter­hin eine wich­ti­ge Rol­le spie­len werden.

Obiter dic­ta

Rechts­na­tur von Art. 22 Abs. 1 DSGVO

Bei­läu­fig und ohne Not spricht sich der GA zudem zur in der Leh­re umstrit­te­nen Fra­ge aus, ob Art. 22 Abs. 1 DSGVO ein all­ge­mei­nes Ver­bot oder ein Wider­spruchs­recht vorsieht:

Unge­ach­tet der ver­wen­de­ten Ter­mi­no­lo­gie erfor­dert die Anwen­dung von Art. 22 Abs. 1 DSGVO nicht, dass sich die betrof­fe­ne Per­son aktiv auf das Recht beruft. Denn eine Aus­le­gung im Licht des 71. Erwä­gungs­grun­des die­ser Ver­ord­nung und unter Berück­sich­ti­gung der Syste­ma­tik die­ser Bestim­mung, ins­be­son­de­re ihres Abs. 2, in dem die Fäl­le auf­ge­führt sind, in denen eine auto­ma­ti­sier­te Ver­ar­bei­tung aus­nahms­wei­se zuläs­sig ist, lässt den Schluss zu, dass die­se Bestim­mung ein all­ge­mei­nes Ver­bot der Ent­schei­dun­gen der oben beschrie­be­nen Art aufstellt.

Die­se Ansicht ent­spricht zwar der (noch) über­wie­gen­den Leh­re, wur­de aber kürz­lich in der Lite­ra­tur zu Recht in Fra­ge gestellt. Grund dafür ist nicht nur der Wort­laut, der auch in ande­ren Sprach­fas­sun­gen für ein Betrof­fe­nen­recht – und kein Ver­bot – spricht. Die Infor­ma­ti­ons­pflich­ten, die auf Art. 22 Abs. 1 DSGVO ver­wei­sen, wür­den bei einem all­ge­mei­nen Ver­bot kei­nen Sinn machen: Sie wür­den den Ver­ant­wort­li­chen zu einer Infor­ma­ti­on über eine ver­bo­te­ne Tätig­keit ver­pflich­ten. Zudem strei­tet auch die Anknüp­fung des Gesetz­ge­bers am Vor­gän­ger­er­lass der DSGVO, der ein Betrof­fe­nen­recht vor­sah, für eine Kon­ti­nui­tät die­ser Rechts­na­tur. Schliess­lich las­sen sich wei­te­re Argu­men­te zugun­sten eines Wider­spruchs­rechts aus dem Zweck von Art. 22 Abs. 1 DSGVO gewin­nen, die der GA hier ausblendete.

Umfang des Aus­kunfts­rechts betref­fend auto­ma­ti­sier­te Entscheidungen

Eben­falls ohne Not äusser­te sich der GA zum Umfang des Aus­kunfts­rechts in Art. 15 Abs. 1 lit. h DSGVO, ins­be­son­de­re zur Bedeu­tung von aus­sa­ge­kräf­ti­gen Infor­ma­tio­nen über die invol­vier­te Logik:

Mei­nes Erach­tens ist die­se Bestim­mung dahin aus­zu­le­gen, dass sie grund­sätz­lich auch die Berech­nungs­me­tho­de erfasst, die von einer Aus­kunf­tei zur Ermitt­lung eines Score-Wer­tes ver­wen­det wird, sofern kei­ne schutz­wür­di­gen wider­strei­ten­den Inter­es­sen bestehen.
Inso­weit ist auf den 63. Erwä­gungs­grund der DSGVO zu ver­wei­sen, aus dem u. a. her­vor­geht, dass «[das Auskunftsr]echt … die Rech­te und Frei­hei­ten ande­rer Per­so­nen, etwa Geschäfts­ge­heim­nis­se oder Rech­te des gei­sti­gen Eigen­tums und ins­be­son­de­re das Urhe­ber­recht an Soft­ware, nicht beein­träch­ti­gen [soll­te]».

Damit stellt sich der GA gegen den Euro­päi­schen Daten­schutz­aus­schuss, der in sei­ner Leit­li­nie zum Aus­kunfts­recht den Vor­be­halt von Geschäfts­ge­heim­nis­sen und Imma­te­ri­al­gü­ter­rech­ten nur hin­sicht­lich des Rechts auf Kopie gel­ten las­sen will (vgl. 15 Abs. 4 DSGVO). Da die­ser Vor­be­halt aber gera­de bei der Infor­ma­ti­on über die invol­vier­te Logik sinn­voll erscheint, ist dem GA in die­sem Punkt zuzustimmen.

Der Vor­be­halt erfor­de­re eine Abwä­gung, wobei der betrof­fe­nen Per­son ein Mini­mum an Infor­ma­tio­nen gelie­fert wer­den müs­se. Der Schutz des Geschäfts­ge­heim­nis­ses oder des gei­sti­gen Eigen­tums stel­le für eine Aus­kunf­tei grund­sätz­lich einen berech­tig­ten Grund dar, die Offen­le­gung des zur Berech­nung des Score-Wer­tes der betrof­fe­nen Per­son ver­wen­de­ten Algo­rith­mus zu verweigern.

Die Aus­kunf­tei schul­de daher:

hin­rei­chend detail­lier­te Erläu­te­run­gen zur Metho­de für die Berech­nung des Score-Wer­tes und zu den Grün­den […], die zu einem bestimm­ten Ergeb­nis geführt haben. Gene­rell soll­te der Ver­ant­wort­li­che der betrof­fe­nen Per­son all­ge­mei­ne Infor­ma­tio­nen über­mit­teln, vor allem zu bei der Ent­schei­dungs­fin­dung berück­sich­tig­ten Fak­to­ren und deren Gewich­tung auf agg­re­gier­ter Ebe­ne, die auch für die Anfech­tung von «Ent­schei­dun­gen» im Sin­ne von Art. 22 Abs. 1 DSGVO sei­tens der betrof­fe­nen Per­son nütz­lich sind.

Was dies bedeu­tet, bleibt unklar. Wenn die Aus­kunf­tei bloss all­ge­mei­ne Infor­ma­tio­nen zu den berück­sich­tig­ten Fak­to­ren schul­det, muss sie wohl nicht sämt­li­che Fak­to­ren nen­nen. Auch die «Gewich­tun­gen auf agg­re­gier­ter Ebe­ne» lässt Inter­pre­ta­ti­ons­spiel­raum: Die Aus­kunf­tei wird zwar Aus­sa­gen zur Gewich­tung machen müs­sen, muss sie aller­dings nicht kon­kret ange­ben. Da der GA den Algo­rith­mus bzw. die Score­for­mel schüt­zen will, dürf­te die Anga­be aus­rei­chen, wel­chen Fak­to­ren bzw. Fak­to­ren­ka­te­go­rien mehr oder eben weni­ger Gewicht zukommt.

Schluss­be­mer­kun­gen

Schluss­an­trä­ge eines GA sind unver­bind­lich. Des­halb bleibt die Hoff­nung, dass der EuGH insb. in der ersten Vor­la­ge­fra­ge die vom GA unbe­ach­te­ten Gesichts­punk­te wür­di­gen und anders ent­schei­den wird. Regel­mä­ssig folgt der EuGH indes den Schluss­an­trä­gen des GA, was gera­de vor­lie­gend nicht über­ra­schend wäre. Ein ent­spre­chen­der Ent­scheid des EuGH wür­de sich naht­los in die bis­he­ri­ge, sehr daten­schutz­freund­li­che Recht­spre­chung des EuGH einreihen.

Der Aus­gang des Ver­fah­rens wird auch für das schwei­ze­ri­sche Recht bedeut­sam sein, weil das per 1. Sep­tem­ber 2023 in Kraft tre­ten­de nDSG erst­mals auto­ma­ti­sier­te Ent­schei­dun­gen pri­va­ter Ver­ant­wort­li­cher beson­de­ren Regeln unter­wirft. Die Erwä­gun­gen des GA und der aus­ste­hen­de Ent­scheid des EuGH dür­fen zwar nicht unbe­se­hen auf Art. 21 nDSG über­tra­gen wer­den. Nach­dem aber DSG und DSGVO den Begriff der auto­ma­ti­sier­ten Ent­schei­dung bloss gering­fü­gig abwei­chend for­mu­lie­ren und sich der Gesetz­ge­ber (wie sich in den Mate­ria­li­en zeigt) begriff­lich an der DSGVO ori­en­tiert hat, dürf­te die euro­päi­sche Recht­spre­chung auch das Ver­ständ­nis im schwei­ze­ri­schen Recht beeinflussen.

Zum Schluss sei bemerkt, dass der GA glei­chen­tags auch sei­ne Schluss­an­trä­ge in den eben­falls die SCHUFA betref­fen­den Rechts­sa­chen C‑26/22 und C‑64/22 vor­ge­legt hat. Die in die­sen Vor­ab­ent­schei­dungs­ver­fah­ren zu beant­wor­ten­den Fra­gen betref­fen ins­be­son­de­re die Zuläs­sig­keit der Vor­rats­da­ten­spei­che­rung von Daten aus öffent­li­chen Regi­stern durch eine Auskunftei.

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